Darkover 06 - Die Flamme von Hali
wichtigen Gütern zu versorgen.
Kirella war viel kleiner als Thendara, aber ebenso schwer befestigt. Berittene Soldaten übten auf dem einzigen für Pferde geeigneten flachen Landstreifen ihre Formationsmanöver. Eduin und Saravio kamen an Wachtürmen vorbei, die die Stadt in Sichtweite zueinander umgaben. Ein tiefer Kanal zweigte vom Fluss ab und lief an Mauern entlang, die Schlitze für Bogenschützen hatten. Als sie noch näher kamen, stieg ein Luftwagen auf und flog in Richtung Valeron davon.
Bewaffnete Wachen hielten die Reisenden noch weit von der Brücke entfernt auf und erkundigten sich, was die beiden in der Stadt wollten. Die Soldaten betrachteten die Kleidung der Reisenden und das beladene Packtier und versuchten, den Rang und das Vermögen der beiden abzuschätzen. Dann ließen sie sie durch.
Sobald sie in der Stadt waren, fiel es ihnen nicht schwer, eine angemessene Unterkunft zu finden. Eduin verbrachte mehrere Tage damit, durch die Straßen zu gehen, sich mit den diversen Stadtvierteln vertraut zu machen, zu lauschen, worüber sich die Menschen beschwerten, und ein Gefühl für die allgemeine Stimmung zu entwickeln. Die Jahre des Versteckens in Thendara hatten ihn gelehrt, wie man den Puls und den Rhythmus der Straßen spürte. Selbst wenn er sein Laran nur in geringem Maß einsetzte, konnte er die Schatten der Angst und das Nagen von Hunger und Durst spüren. Das hier war, wie er rasch schloss, eine nervöse Stadt, aber die Sorgen der Menschen gingen weit über das hinaus, was Vorbereitungen auf einen Krieg für gewöhnlich mit sich brachten. Nur wenige hatten je selbst im Kampf gestanden, und noch weniger fürchteten einen unmittelbaren Angriff. Die Quelle ihrer Unruhe lag direkt innerhalb ihrer eigenen Mauern, in der Zitadelle.
Lord Brynon wurde nur aus Höflichkeit mit diesem Titel angesprochen, denn tatsächlich war er nur Regent anstelle seiner einzigen Tochter. Es war die verstorbene Lady Aillard gewesen, in deren Familie die Herrschaft über die Stadt und das umgebende Land vererbt wurde. Nur eine Tochter konnte erben, und es war diese Tochter, die Eduin heilen wollte.
Die Burg stand auf einer kleinen Anhöhe, dem einzigen Hügel in der Region. Selbst im hellen Tageslicht wirkte sie mit ihren grauen Mauern in sich zurückgezogen und unnachgiebig. Sie war, wie Eduin dachte, ein Ort, der nichts preisgab, der seine Geheimnisse behielt. Er hätte sich keine bessere Bühne für sein kleines Drama vorstellen können.
Als Erstes musste er diese Bühne vorbereiten. Ein paar gut platzierte Nachfragen brachten ihm die Informationen, die er brauchte. Statt eine Menschenmenge an einem öffentlichen Ort zu versammeln, suchte er nun nach Möglichkeiten, sich Zugang zu höheren gesellschaftlichen Kreisen zu verschaffen. Es dauerte nicht lange, bis er Erfolg hatte. Geschichten über ihre Wundertaten auf dem Weg hierher hatten Kirella bereits erreicht. Saravio war mit seinem seltsamen Verhalten und dem schwarzen Gewand überall wiederzuerkennen. Eduin erhielt schon bald eine Einladung zu einem wohlhabenden Tuchhändler, der vor kurzem verwitwet war.
An dem Abend, als Eduin und Saravio sich in der Residenz des Tuchhändlers vorstellten, wehte ein kalter, feuchter Wind, der die ersten Andeutungen des Herbstes mitbrachte. Saravio trug wie üblich das schwarze Gewand. Das Haus mit seinem ummauerten Garten lag in einem guten Stadtviertel in Sichtweite der Residenzen der Adligen.
Ein Coridom empfing sie am Tor und führte sie mit hoch erhobenem Kandelaber zu dem Raum, wo sein Herr wartete. Das Haus hatte etwas Bedrückendes an sich, war mehr Mausoleum als Heim lebender Menschen. Der Kaufmann saß neben der leeren Feuerstelle, als sie hereinkamen, und sah ihnen entgegen. Eine einzelne Kerze stand auf einem Tisch aus dunklem Marmor. Tiefe, senkrechte Linien zeichneten das Gesicht des Mannes, als hätten Tränen hier Kerben hinterlassen. Eduin spürte die Trauer wie einen eingedämmten Fluss, schal und faulig.
Der Diener fragte, ob er mehr Licht bringen sollte. Eduin nutzte die Gelegenheit. »Bitte macht Euch keine Umstände, mein Herr. Wir sind es, die Euch dienen sollten.«
»Es gibt nichts, was Ihr für mich tun könnt«, sagte der Kaufmann mit dumpfer Stimme. »Es sei denn, Ihr könnt die Toten wiedererwecken. Ich muss verrückt gewesen sein, dieser Begegnung zuzustimmen.«
»Manchmal sprechen unsere wichtigsten Instinkte auf eine Weise zu uns, die wir nicht
Weitere Kostenlose Bücher