Darkover 10 - Die zerbrochene Kette
sind bei dir, Liebes, wir sind hier, wir werden gut für dich sorgen…« Sie wußte nicht mehr, was sie sagte.
Zum ersten- und zum letztenmal schrie Melora laut auf. Es war ein langer, fürchterlicher Schrei voller Verzweiflung und Not. Und dann, gerade als die Sonne aufging, war in dem schrecklichen Schweigen ein neuer Laut zu hören: ein seltsamer, scharfer, schriller Ton, das Weinen eines neugeborenen Kindes.
»Evanda sei Dank.« Rima hielt das nackte, blutige Kind an den Füßen hoch. »Hört nur, wie kräftig er ist! Den brauche ich nicht mit einem Klaps ins Leben zu rufen…«
Melora flüsterte fast unhörbar: »Gib ihn mir«, und streckte die Hände nach ihm aus. Ihr Gesicht veränderte sich. Das niemals versagende Wunder , dachte Rohana. Immer, ganz gleich, wie schwer und furchtbar die Geburt gewesen war, gab es diesen Augenblick der Freude, wenn das Gesicht sich veränderte, hell und strahlend wurde. Melora sieht so glücklich aus, so glücklich. Wie ist das möglich? fragte sich Rohana, ohne sich an ihr eigenes Glück zu erinnern. Rima wickelte das Kind in ein sauberes Handtuch, das sie bereitgehalten hatte, und legte es auf Meloras schlaffen Leib. »Ein gesundes Kerlchen«, stellte sie fest.
»Jalaks Sohn«, wisperte Melora, und das selige Lächeln verschwand. »Was soll aus ihm werden, dem armen Kleinen?«
Rima begann scharf: »Meine Dame…«
Melora streckte die Hände aus. »Jaelle… Jaelle, komm und küß mich… oh, Jaelle…«
Rima schrie bestürzt auf. Blut schoß in einem starken Strahl hervor. Melora seufzte und sank zurück, das Gesicht weiß und leblos. Und unter der aufgehenden Sonne war kein Laut zu hören außer dem Weinen von Meloras mutterlosen Kindern.
»Wollt Ihr tatsächlich Jalaks Sohn aufziehen, Lady Rohana?« fragte Kindra.
Die Sonne stand hoch über dem Lager. Jaelle hatte bis zur Erschöpfung geweint und lag zwischen ihnen auf dem Sand, schlaff und schmutzig wie ein kleines Tier. Rohana lehnte halb sitzend, halb liegend an einem Stapel von Satteltaschen. Sie hatte das nackte Kind gewickelt und unter ihrer Jacke an die Brust gelegt, wo es zappelte und mit seinem Mund nach der Nahrung suchte, die ihm verweigert wurde. Zärtlich streichelte Rohana das warme Bündel. Sie antwortete: »Was kann ich anderes tun, Kindra? Ich habe Melora geschworen, ihre Kinder sollen in allen Dingen wie meine eigenen sein.«
Kindra empörte sich: »Er ist ein männliches Wesen aus Jalaks Blut - schreit das Blut Eurer Verwandten und Eures Pflegebruders nicht nach Rache? Steht nicht eine Blutfehde und ein Leben zwischen Euch und Jalaks Sohn, meine Dame?« Sie zog ihr Messer und reichte es Rohana mit dem Heft voran. »Er hat Melora das Leben gekostet, so daß sie nie zu ihrer schwer errungenen Freiheit gelangt ist, und er ist Jalaks Sohn. Rächt Eure Verwandten, Lady.«
Krank vor Entsetzen erkannte Rohana, daß Kindra nichts als die Wahrheit sprach. Die Männer der Domänen von Ardais und Aillard hätten ihre Worte wiederholt: Jalaks Sohn muß für Jalaks Verbrechen bezahlen.
Sie fühlte, wie sich das Kind an ihrem Körper bewegte, warm und kräftig. Meloras Kind, und ich habe es von ihrer Leiche aufgehoben . Sie sah zu Jaelle hin, die sich neben ihr zusammengerollt hatte, die Augen abwehrend geschlossen. Auch sie ist Jalaks Kind. Muß sie bezahlen?
Kindra erklärte ernsthaft: »Rohana, er wird sterben, ganz gleich, was Ihr jetzt tut. Wir haben keine Amme für ihn, keine Nahrung, wir können ihn nicht richtig versorgen. Zerreißt Euch nicht das Herz seinetwegen; laßt ihn hier neben seiner Mutter liegen.«
Langsam schüttelte Rohana den Kopf. Sie gab das Messer zurück und sah der Amazone gerade in die Augen. »Blutfehde und Rache sind für Männer, Kindra. Ich bin froh, eine Frau zu sein, die von solchen grausamen Gesetzen nicht gebunden ist. Laßt das Leben dieses Kindes, nicht seinen Tod, für den Tod meines Pflegebruders bezahlen. Ardais hat mit Valentin einen Sohn verloren, deshalb soll dieser Junge Valentin heißen.« Sie legte die Hände wie in einem Ritual auf den kleinen, zappelnden Körper. »Und er soll Pflegesohn von Ardais sein anstelle desjenigen, der von Jalaks Händen gestorben ist.«
Kindra steckte das Messer weg und hob das Gesicht mit grimmigem Lächeln. »Gut gesprochen, meine Dame. Tatsächlich würde eine Amazone so sprechen, aber ich hätte nicht gedacht, daß Ihr es wagen würdet, die Gesetze Eures Clans und
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