Darkover 10 - Die zerbrochene Kette
wusch ihr ab und zu mit kaltem Wasser den Schweiß vom Gesicht. Melora war still und geduldig, tat, was ihr gesagt wurde, versuchte, sich zwischen den Wehen auszuruhen. Manchmal redete sie ein bißchen, und nach einer Weile merkte Rohana zu ihrem Schrecken, daß Melora nicht mehr wußte, wo sie war und was geschah. Sie sprach mit ihrer eigenen Mutter, die seit Jahren tot war; einmal fuhr sie mit einem Aufschrei hoch und schrie Flüche in der Sprache der Trockenstädter; wieder und wieder schluchzte sie und flehte, sie nicht anzuketten, oder rief: »Meine Hände! Meine Hände!« Und ihre Finger wanderten zu den langen zackigen Narben an ihren Handgelenken. Rohana hörte ihr zu, murmelte beschwichtigende Worte, machte immer neue Anstrengungen, das Delirium zu durchdringen… Wenn Melora nur erkennen würde, daß sie hier und frei ist, hier bei mir … Sie setzte ihre ganze telepathische Kraft ein, um den Geist ihrer Cousine zu erreichen, aber alles, was sie empfing, waren Angst und Entsetzen.
Gesegnete Cassilda, Mutter der Domänen… Evanda, Göttin des Lichts, Göttin der Geburt… gnädige Avarra… was muß sie erlitten, welche Schrecken muß sie erlebt haben…
Keine der anderen Frauen schlief, obwohl Kindra ihnen befohlen hatte, sich hinzulegen. Rohana spürte ihre Sorge, ihre Wachsamkeit wie Schwingungen der Luft. In Zeiten wie dieser ist es ein Fluch, die Gedanken anderer zu lesen…
Einmal, als Melora in einen kurzen Erschöpfungsschlaf gefallen war, sah Rima über den kämpfenden Körper hinweg Rohana an und schüttelte kurz den Kopf. Rohana schloß die Augen. Noch nicht! Gib jetzt noch nicht auf!
Voller Mitleid sagte Rima: »Sie hat keine Kraft mehr übrig, um das Kind auszustoßen. Wir können nichts tun als warten.«
Plötzlich merkte Rohana, daß sie selbst in hysterisches Schreien und Schluchzen ausbrechen würde, wenn sie auch nur einen Augenblick länger blieb. Mit schwerer Zunge stieß sie hervor: »Ich bin gleich wieder da«, stand auf und stürzte an dem Lagerfeuer vorbei zu der primitiven Latrine, die Amazonen in der Nähe ihrer Lager zu graben pflegen. Sie lehnte sich gegen den harten Felsen, bedeckte das Gesicht, kämpfte darum, sich nicht zu erbrechen oder zu schreien. Als sie die Beherrschung in etwa zurückgewonnen hatte, ging sie ans Feuer, wo noch ein Topf mit dem heißen Getränk aus fermentiertem Korn, das die Amazonen anstelle von Rindentee oder jaco verwenden, leise kochte. Sie schöpfte sich einen Becher voll, trank ihn und versuchte, sich zu beruhigen. Kindra, fast unsichtbar in der Dunkelheit, blieb neben ihr stehen und legte ihr die Hände auf die Schultern.
»Steht es schlimm, Lady?«
»Sehr schlimm.« Rohana glaubte für einen Augenblick, an dem heißen, bitteren Gebräu ersticken zu müssen. »Sie ist - keine Frau, die überhaupt leicht Kinder zur Welt bringt, und hier, ohne fachkundige Hilfe, nachdem sie soviel erlitten hat - nach diesem harten Ritt - ohne jede Fürsorge oder Bequemlichkeit…«
Kindras Seufzer kam aus der Tiefe ihres Herzens. »Es tut mir leid, wirklich leid. Es ist grausam, daß sie für ihre Freiheit so leiden muß und sich ihrer nicht mehr wird erfreuen können, nachdem sie soviel Mut gezeigt hat. Der Gedanke, daß niemand da ist, das Kind zu nähren oder zu versorgen, falls es lebend geboren wird, muß sehr zu ihrem Unglück beitragen.«
In Rohana stieg ein Groll, dessen sie sich bisher nicht bewußt gewesen war, gegen diese Frauen auf, die sich den Qualen des Frauenlebens entzogen. Es kostete sie Mühe, der anderen Frau den brühheißen Inhalt ihres Bechers nicht ins Gesicht zu schleudern. Bitter sagte sie: »Ihr! Was wißt ihr von dieser Angst um ein Kind?«
»Nun, ebensoviel wie Ihr, Lady«, erwiderte Kindra. »Ich habe vier Kinder geboren, bevor ich zwanzig Jahre alt war. Ich war sehr jung verheiratet, und mein erstes Kind starb vor der Geburt. Die Hebammen meinten, ich dürfe kein zweites bekommen, aber mein Mann wünschte sich einen Erben. Das zweite und das dritte Kind waren Mädchen, und er verwünschte mich. Bei meinem vierten Kind wäre ich beinahe gestorben - die Geburt dauerte drei Tage lang -, und diesmal, als er unsern Sohn sah, überschüttete er mich mit Geschenken und Juwelen, statt mich zu beschimpfen. Und da erkannte ich, daß das Los einer Frau in unserer Welt verflucht ist. Ich war für ihn nicht von Wert, die Töchter, die ich ihm unter Lebensgefahr geboren hatte, waren für ihn nicht
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