Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
die Tränen in die Augen schossen. Ich entschuldigte mich und verschwand.
Die Gästetoilette der Psychiatrie roch nach Desinfektionsmitteln. Auf der kalten Klobrille sank ich zusammen und weinte still in mich hinein.
Ich erinnerte mich daran, wie Tom und ich uns zum ersten Mal begegnet waren. In einem kleinen New Yorker Diner. Mitten im verschneiten Winter. Wir standen nebeneinander und bestellten dasselbe. Schoko-Donuts und Milchkaffee. Es war das erste Weihnachtsfest seit vier Jahren, das ich nicht bei meiner Familie verbrachte. Es war wunderschön.
In diesem Moment führte die Erinnerung jedoch dazu, dass ich mich nur noch schlechter fühlte.
Als ich die Toilette schließlich verließ, war die Besuchszeit abgelaufen und die Psychiatrie menschenleer. Man hatte mich vergessen. Schwestern und Angehörige waren gegangen. Das Licht war bereits gedimmt worden. Ich wollte so schnell wie möglich verschwinden, um die Patienten nicht zu beunruhigen und hatte bereits die Hand auf der Türklinke, als ich zögerte. Ich wünschte mir plötzlich, einen letzten Blick auf Tom werfen zu können, um zu sehen, ob es ihm gut ging. Fassungslos über die eigene Sturheit schlich ich den Flur hinunter. Vor Toms Zimmer blieb ich stehen, richtete mich auf und warf einen Blick durch das runde Sichtfenster in sein Zimmer.
Tom hockte bewegungslos auf dem Boden und starrte in den ebenfalls menschenleeren Park des Krankenhauses hinaus, der hinter dem abgedunkelten Fenster zu sehen war.
Mitten im Park stand ein hünenhafter Mann mit dichtem, schwarzen Vollbart und neben ihm ein riesiger, schwarzer Schäferhund. Mir war sofort klar, ohne dass es einer Erklärung bedurfte, dass der Mann zu Tom hinauf und er zu ihm hinunter sah. Ich zuckte unwillkürlich zurück. Meine Gedanken überschlugen sich. Wer war das? Was passierte hier? Vorsichtig wagte ich mich vor, um besser sehen zu können. Da geschah es.
Der Mann hob etwas an den Mund, was aus der Entfernung nicht zu erkennen war. Einen Moment später spürte ich es. Es war eine Hundepfeife. Der Ton verursachte ein unangenehmes Ziehen im Unterkiefer. Tom reagierte ummittelbar. Er begann, zu toben und zu schreien. Er presste sich die Hände an den Kopf und warf sich gegen die Wand.
»Ooooooh, ooooooooohhhh!«
Der Lärm hatte ein Echo. Ich entfernte mich von der Tür. Alle Patienten der Station schrien und randalierten. Ich versuchte, die Tür zu Toms Zimmer zu öffnen. Sie war verschlossen. Verzweifelt schlug ich dagegen.
»Tom! Was ist los? Mach die Tür auf!«
Plötzlich, einem unhörbaren Kommando folgend, rannte Tom zum Kühlschrank, sprang hinein und schlug die Tür zu. Im selben Moment setzte sich der Mann mit dem Schäferhund in Bewegung und verließ mit eiligen Schritten den Park. Schlagartig war es vollkommen still in der Psychiatrie. Sprachlos lief ich zur Nachbartür. Der Bewohner des Nebenzimmers war ebenfalls verschwunden. Die Patienten der gesamten Station hatten sich auf Befehl des Hundemannes im Kühlschrank verkrochen. Ungläubig und Hilfe suchend sah ich mich um. War das wirklich passiert? Hatte ich Halluzinationen?
Auf der Straße vor der Klinik brauchte ich einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. Ich sah mich um, suchte nach Beweisen für eine Sinnestäuschung. Doch alles war wie immer. Menschen warteten auf Parkbänken, Mitarbeiter kamen und gingen. Niemand beachtete mich. Lichtjahre lagen zwischen der Welt der Psychiatrie und der Welt der Innenstadt von Porterville. Und trotzdem hatten diese Welten einen Schnittpunkt. Den schwarzhaarigen Hünen. Tom hatte die ganze Zeit über auf sein Signal gewartet.
Ich umrundete das Krankenhaus, eilte zwischen Bänken und kahlen Bäumen hindurch und gelangte zu dem Seitengebäude. Es lag wie in einem Innenhof zwischen anderen Gebäuden des Krankenhauses. Der Zugang war mit einem Bauzaun versperrt. Direkt vor dem Zaun stand ein Bauwagen. Er machte nicht den Eindruck, als wäre er erst kürzlich aufgestellt worden. Unkraut wucherte zwischen den Rädern und der Lack blätterte ab. Plötzlich stand er direkt vor mir.
Der Mann überragte mich um drei Köpfe. Seine Größe war unnatürlich. Sein dichtes Haar und sein Vollbart glänzten wie flüssiger Teer in der Abendsonne. Er schien mich für eine Spaziergängerin zu halten. Ich versuchte, unauffällig weiterzugehen. Das Tier jedoch, ein Furcht einflößend ruhiges Exemplar, blieb stehen und folgte mir wachsam mit bodenlos schwarzen Augen.
Der Schock machte mir die Beine schwer.
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