Darkyn 07 – Am Ende der Dunkelheit
suchen. Und zwar schnell.«
»Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich deinen Gefühlen nicht gleichgültig gegenüberstehe.« Er zog sie an sich, sodass er an ihrem Rücken lag. »Ich weiß, wie es ist, sie schreien zu hören. Kenne den Geruch ihrer Wunden. Wusste auch damals schon nach einem Blick, wer leben und wer sterben würde. Ich bin schon durch Flüsse von Leichen gewatet, habe den Gestank des Todes eingeatmet, um nach Bewegungen Ausschau zu halten oder nach blinzelnden Augen.«
»Du bist zurückgegangen?«
Er antwortete nicht, bis er sie umgedreht hatte und sie ihn ansah. »Vor jedem Kampf hat der Templermeister uns Lose ziehen lassen. Diejenigen, die verloren, ritten an diesem Tag nicht gegen den Feind, sondern warteten im Lager. Wenn die Nachricht kam, dass der Kampf ein Ende gefunden hatte, legten die Zurückgebliebenen ihre Gewänder an und ritten zum Schlachtfeld. Wir stiegen ab und bildeten eine lange Linie. Wir beteten zusammen, und dann zogen wir unsere Schwerter und wanderten über das Schlachtfeld.«
Es kostete sie eine Sekunde, wirklich zu verstehen, was er da sagte. »Ihr habt die Verwundeten umgebracht .«
Das schien ihn aus seinen Erinnerungen zu reißen. »Wir hatten keine Ärzte mit uns im Heiligen Land, Alexandra. Wir wussten kaum, wie man kleinere Wunden verband, und noch weniger darüber, wie man sie säuberte und heilte. Ein schneller, gnadenvoller Tod war besser als ein Tod, der erst nach Wochen voller Schmerzen und Leid eintrat.« Er beobachtete ihr Gesicht. Seine Augen waren so hell und blau, dass es ihr fast wehtat, seinen Blick zu halten. »Deswegen versuchen unsere Schwerverletzten, sich selbst umzubringen, oder bitten einen anderen Kyn darum, ihnen diese Last abzunehmen. Es hat nichts damit zu tun, dass du sie im Stich gelassen hast, chérie . So haben wir es immer gehalten.«
Wann immer Michael früher solche Aussagen gemacht hatte, hatte Alex das Gefühl gehabt, dass es ihr niemals möglich sein würde, die unsichtbare, undurchdringliche Wand zwischen der mittelalterlichen Einstellung der Kyn und ihrer eigenen, modernen Lebenssicht einzureißen. Im Moment war sie es einfach nur leid, immer wieder mit dem Kopf gegen diese Mauer zu rennen.
Außerdem fühlte sie sich verpflichtet, ihm zu sagen, was sie entdeckt hatte, während sie im Kellerkrankenhaus an den Patienten gearbeitet hatte.
»Es gibt da etwas, was du wissen solltest«, sagte sie. »Ungefähr zwei Drittel der Patienten, die ich gesehen habe, wurden sowohl beschossen als auch verbrannt. Deswegen sind die meisten Wunden nicht verheilt.«
»Uns wurde berichtet, dass die Jäger der Bruderschaft auf diejenigen geschossen haben, die vor den Feuern flohen. Aber sobald die Kugeln entfernt sind, sollten sie eigentlich heilen.«
»Dieses Mal nicht«, antwortete sie. »Die Jäger benutzen explosive Munition, wie ich sie noch nie vorher gesehen habe. Die Kugeln zerbrechen innerhalb des Körpers und verteilen Splitter in der gesamten Wunde.«
»Das ist neu.« Er runzelte die Stirn. »Ein Kupfersplitter im Herzen kann uns genauso schnell töten wie eine Kugel. Vielleicht nutzen die Fanatiker diese Munition, um effizienter zu sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Keinem der Überlebenden, die hierhergebracht wurden, wurde in die Brust geschossen. Sie wurden am Rücken getroffen, in den Bauch, den Kopf oder die Gliedmaßen. Na ja, vielleicht sind ja ein paar der Brüder lausige Schützen, aber die Wunden der Patienten sind sich zu ähnlich, um Versehen zu sein. Ich glaube, die Jäger haben sich bemüht, sie nicht zu töten.«
10
»Sie nicht zu töten?« Michael hob den Kopf und sah auf sie hinunter. »Wenn das so wäre, warum dann überhaupt auf sie schießen?«
»Um sie auf eine Weise zu verletzen, die sie nicht sofort umbringt. Um sie zu behindern. Oder um sie leiden zu lassen, bevor sie sterben. Aber warum ihnen nicht einfach in den Kopf schießen und es damit gut sein lassen?« Sie hatte ihm schon einiges gesagt; jetzt konnte sie ihm den Rest auch noch erzählen. »Ausgehend von dem, was ich da unten gesehen habe, weiß ich, dass die Jäger der Bruderschaft mit den Schüssen nicht töten wollten. Es könnte sein, dass sie versuchen, die Kyn, die sie anschießen, zu fangen und lebend mitzunehmen.«
»Ich muss mit Richard darüber reden.« Er setzte sich auf. »Er wird ebenfalls mit dir über die Patienten sprechen wollen.«
»Ich notiere es in meinem Kalender«, antwortete Alex lustlos. »Würde es dir etwas
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