Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
Kindheit als Weißer gelebt«, sagte John plötzlich. »Ich habe die Menschen glauben lassen, dass ich es bin. Ich habe noch nie … noch nie als das gelebt, was ich bin.«
Robinson sah ihn einen Moment lang an, dann kicherte er. »Junge, wenn ich diese alte schwarze Haut bleichen könnte, dann würde ich sie auch glauben lassen, ich wäre ein weißer Mann.« Er legte seine Hand auf den Tisch neben Johns. »Herrgott, sieh uns an. Wie Tag und Nacht. Ich kenne ein paar Brüder, die Mischlingen wie dir nicht trauen, aber ich sage, ein Mann ist mehr als seine Hautfarbe. Die meisten Weißen denken aber nicht so, stimmt’s?«
John schüttelte den Kopf.
»Also, erzähl mir, wo du im letzten Jahr überall gearbeitet hast.«
Merkwürdig erleichtert zählte John die Namen und Orte auf, wo er angestellt gewesen war; es waren nicht besonders viele. Als er den Job bei der Zeitarbeitsfirma in Kentucky nannte, nickte Robinson, als habe das ein besonderes Gewicht. »Danach habe ich bei einem Freund gewohnt, aber das hat nicht funktioniert.«
Robinson lehnte sich zurück, als die Kellnerin ihr Essen brachte und es auf den Tisch stellte. »Brauchst du eine Bleibe? Mein Cousin führt eine kleine Pension draußen an der U.S. One. Er nimmt dich auf, bis du deinen ersten Scheck bekommst.«
John blickte auf das köstliche Essen vor ihm und dann auf den Mann auf der anderen Seite des Tisches. »Sie würden mich einstellen. Einfach so. Ohne Zeugnisse, ohne Bewerbung, ohne Leumundsprüfung?«
Robinson zuckte mit den Schultern. »Maurice hat dich geschickt. Dann ist es in Ordnung.«
»Aber Sie kennen mich doch gar nicht«, beharrte John. »Ich könnte Sie anlügen.«
»Das könntest du.« Robinson nahm sein Sandwich und biss davon ab. »Ich erzähle dir mal was über meinen kleinen Bruder Maurice. Er war das Baby. Wurde geboren, als ich zwölf war. Mein Daddy starb, und ich war verheiratet und aus dem Haus, als er alt genug war, um unserer Mutter Ärger zu machen. Davon machte er eine Menge, brachte sie fast um vor Sorge. Er war erst sechzehn, als ich ihn das erste Mal wegen eines Einbruchs aus dem Knast holen musste. Da sagte ich zu ihm: ›Wenn du das noch mal machst, bringe ich dich raus in die Everglades und verfüttere dich an die Krokodile.‹«
»Und das hat gewirkt?«
Robinson schüttelte den Kopf. »Er machte weiter, bis er siebzehn war. Dann wurde einer der Gangster, mit denen er sich rumtrieb, erschossen, und mein kleiner Bruder sah, was für eine Zukunft er haben würde. Es war nur diese eine Sache, aber das war es. Maurice kam nach der Beerdigung seines Freundes zu mir und bat mich um einen Job. Ich warf ihn aus dem Haus. Er kam am nächsten Tag wieder und am übernächsten, bis ich aufhörte, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Also fing er bei mir an, und ich ließ ihn härter arbeiten als alle anderen. Dauerte ein bisschen, aber dann wurde er mein bester Mann.«
John konnte dem würzigen Duft des gegrillten Fleisches nicht länger widerstehen und nahm einen Bissen von seinem Sandwich. Das Schweinefleisch war butterweich, und die köstliche, rauchige Süße der Soße ließ ihn noch einmal reinbeißen und dann noch einmal.
»Sag ich doch.« Robinson beobachtete seinen Gesichtsausdruck mit süffisanter Zufriedenheit. »Für den Rest deines Lebens.«
»Wie kommt es, dass Maurice jetzt Busfahrer ist?«
»Er ist immer gerne gefahren, unser Maurice. Während er bei mir arbeitete, hat er einen Busführerschein gemacht. Hat das Dachdecken aufgegeben, als er eine Stelle als Schulbusfahrer bekam. Von da ging er zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und dann zu den großen Firmen. Jetzt fährt er durchs ganze Land.« Er trank aus seinem Glas. »Die ganze Zeit, die Maurice schon unterwegs ist, das sind jetzt zehn Jahre, hat er meine Karte nur drei Männern gegeben. Einer von ihnen hat meine Tochter geheiratet und führt einen Schuhladen im Einkaufszentrum. Der andere ist der Chef meiner Mannschaft. Und dann kommst du. Aber du suchst nicht nach einem Job, Bruder.«
John ließ das sinken, was von seinem Sandwich noch übrig war. »Tue ich nicht.«
Robinson schüttelte den Kopf. »Du bist kein Dachdecker, dafür drückst du dich viel zu gewählt aus, Mann. Und du hast auch was an dir. Ich glaube, du hast da schon was vor. Du hast nur noch nicht entschieden, wie du es anstellen willst oder wo.«
John dachte darüber nach, diesem einfachen, anständigen Mann von der Kirche und der Bruderschaft zu erzählen. Über seinen
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