Darkyn: Im Bann der Träume (German Edition)
den Wänden reißen und zusammen mit dem antiken Buffet, dem Tisch und den verblassten Wandteppichen entfernen lassen. Hohe Vertäfelungen aus Walnussholz und Messing umgaben jetzt den Raum. Der Boden aus glänzendem Jaspis bildete merkwürdige braune und grüne Maserungen im Stein, die ein paisleyähnliches Muster ergaben. Weil es Stein war, war es immer kalt.
Im Mittelpunkt des Raumes stand der Esstisch, ein riesiges Exemplar aus dunkler Eiche, das irgendwann in einem Schloss in England gestanden hatte und an dem fünfzig Leute bequem Platz fanden. Der ausladende Kronleuchter, der das Zimmer früher mit seinem glitzernden, strahlenden Licht erfüllt hatte, war auf den Dachboden verbannt worden. Im Walnussfurnier der Decke versenkte Strahler sorgten jetzt für eine distanziertere, diskrete Beleuchtung.
Jema mochte das Esszimmer nicht – die pompösen burgunderroten Satingardinen vor den Fenstern waren immer geschlossen –, und sie fand all diese dunklen Farben deprimierend. Gleichzeitig wusste sie, warum ihre Mutter dunkle, schwere Inneneinrichtung bevorzugte.
Meryl Shaw nutzte die Wirkung des Raumes.
Die Besitzerin von Shaw House saß ganz am Ende des Tisches, ein lebendiger Geist in dem dunklen Zimmer. Jemas Mutter trug stets nur eisiges Weiß, das zu ihrem farblosen, extrem gerade geschnittenen Bob passte, der ihr blasses Gesicht einrahmte. Ihre Augen, so kalt und klar wie grüne Murmeln, konnten mit einem Blick alles von Desinteresse bis Verachtung ausdrücken. Auf ihre dünnen Lippen, dem einzigen Farbtupfer in ihrem Gesicht, war sorgfältig der gleiche rosa Lippenstift aufgetragen, den sie schon ihr ganzes Leben lang trug.
»Guten Morgen, Mutter.« Jema ging pflichtbewusst zu ihrem Platz an der linken Seite ihrer Mutter und setzte sich. Ein Hausmädchen erschien, um ihr Kaffee einzugießen und ihr eine Schüssel mit Haferflocken und einen kleinen Teller mit Vollwertmuffins hinzustellen. Sie hob ihr Glas mit Wasser hoch und trank es halb aus, bevor der Durst ein wenig nachließ.
Meryl antwortete nicht sofort, sondern schüttete sich erst ein wenig Milch in ihren Tee. Sie bot Jema das kleine Kännchen nicht an, da sie zusätzlich zu ihrer Zuckerkrankheit auch noch an einer Laktose-Intoleranz litt. »Hast du gut geschlafen?«
Die Wunden an der Innenseite ihrer Lippen brannten, während sie ihr Wasser austrank und mit dem schwarzen, ungesüßten Kaffee weitermachte. »Ja, habe ich.«
»Ich nicht.« Meryl hob ihr Besteck auf und schnitt ein kleines Stück von ihrem Toast ab. »Bradford musste mir etwas gegen meine Magenschmerzen geben, und ich konnte bis zum Morgengrauen keine Ruhe finden. Wo warst du letzte Nacht?«
Jema ließ sich vom Hausmädchen noch mehr Wasser eingießen und sah sie an. »Fühlst du dich jetzt besser?«
»Das ist nicht der Punkt.« Meryl legte die Gabel beiseite. »Ich dachte, die rebellische Phase sei auf die Pubertät beschränkt, aber dein Verhalten lässt etwas anderes vermuten. Was kommt als Nächstes? Ein Piercing? Tätowierungen? Laute Musik zu nachtschlafender Zeit?«
»Ich bin neunundzwanzig«, meinte Jema. »Zu alt für Nabelringe und Kid Rock.«
Ihre Mutter schnaubte. »Gott sei Dank.«
»Gegen eine Tätowierung hätte ich allerdings nichts.« Jema streckte den Arm aus und tat so, als würde sie ihn betrachten. »Vielleicht ein kleiner Papagei an der Innenseite meines Handgelenks.«
»Eher lasse ich dir den Arm von Daniel amputieren«, fuhr Meryl sie an.
Dr. Daniel Bradford kam ins Esszimmer, wo er innehielt und beide Frauen ansah. »Ich hasse es, bei einem solchen Gespräch nicht von Anfang an dabei zu sein«, scherzte er. »Vor allem, wenn es darum geht, dass ich jemanden verstümmeln soll.«
Jema lächelte Daniel an, der mit seiner runden, stämmigen Figur, dem fröhlichen Gesicht, dem silbernen Haar und dem Bart eher wie ein Weihnachtsmann aussah, der gerade nicht im Dienst war, als wie ein Arzt. »Mutter hat mir gerade ihre Meinung über Tätowierungen mitgeteilt.«
»Ekelhafte, obszöne Dinger.« Meryl warf ihm einen schneidenden Blick zu. »Setz dich, Daniel.«
»Wir sprachen gerade darüber, warum ich gestern Abend nicht pünktlich zu Hause war. Wofür ich mich entschuldigen möchte, Mutter«, fuhr Jema schnell fort. Sie trank rasch noch etwas Wasser aus ihrem wieder aufgefüllten Glas. »Das war rücksichtslos von mir, und es wird nicht wieder vorkommen.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, schnappte Meryl. »Wo warst du?«
Jetzt würde sie
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