Darkyn: Ruf der Schatten (German Edition)
heilen konnte, es sei denn, sie glaubten, dass sie aufgrund ihres Talents zu den Kyn gehörte. Der Orden würde sie gnadenlos jagen, wenn das der Fall war. Das erklärte vielleicht auch, warum sie so oft den Job und den Ort gewechselt hatte; sicher hatte sie gewusst, dass sie gejagt wurde.
Liling konnte nicht ewig vor dem Orden fliehen; sie hatten sie diesmal gefunden, und sie würden sie wieder finden. Sie brauchte den Schutz der Kyn.
Der Plastik-Duschvorhang wurde zur Seite gerissen, und diejenige, die seine Gedanken eben so beschäftigt hatte, stand leicht schwankend und mit einem merkwürdigen Ausdruck in ihren schwarzen Augen vor ihm.
»Liling .« Er streckte die Arme nach ihr aus.
Sie wich aus, bevor er sie zu fassen bekam, griff nach dem Duschvorhang und riss ihn von den Ringen. Rote Funken kreisten in der dunklen Tiefe ihrer Augen, und sie schien nicht zu wissen, wer er war, denn ihr Blick wirkte leer.
»Du nimmst die Sünden von der Welt .« Sie legte die Hände gegen die geflieste Wand. »Sehen wir mal, wie es dir gefällt .«
Das kalte Wasser der Dusche wurde plötzlich heiß, und Dampf füllte den kleinen Raum.
Valentin sprang fluchend aus der Dusche, um dem jetzt kochend heißen Wasser zu entgehen. »Tritt zurück, bevor du dich verbrennst .«
Ihr Blick glitt plötzlich von seinem Gesicht zum Wasser und wieder zurück, und Erkenntnis erschien in ihren Augen, zusammen mit furchtbarer Angst.
»Verzeih mir. Ich wollte dich nicht anschreien .« Er griff in die Dusche, und es gelang ihm, die Hähne zuzudrehen. Das heiße Wasser ließ seine Haut für einen Moment rot werden, bevor die leichten Verbrennungen wieder heilten. »Geht es dir etwas besser ?«
»Nicht er .« Sie legte die Hände über ihr Gesicht und ihre Augen. »Ich habe nichts getan. Hör auf, mich anzuschreien .« Sie sagte etwas auf Chinesisch und schrie dann die Worte: »Das werde ich nicht .«
Valentin fing sie gerade noch rechtzeitig auf, als ihre Knie nachgaben.
Er sah, wie ihre Augen nach oben rollten, als er sie hochhob. Sie brabbelte etwas auf Chinesisch.
»Liling .« Er hielt sie vorsichtig fest. »Was sagst du da? Erzähl es mir auf Englisch .«
»Nehmen, nicht geben .« Sie wimmerte, zuckte zusammen, griff in ihre Haare, als wollte sie sich diese vom Kopf reißen. »Er kommt. Ich kann ihn fühlen. Ich kann ihn hören. Nehmen, nicht geben, nehmen, nicht geben – «
»Dir wird nichts passieren .« Er streichelte ihre Wange, und seine Berührung schien sie zu beruhigen. »Ich werde das nicht zulassen. Das schwöre ich dir .«
»Er kommt .« Sie packte ihn, und ihre Hände gruben sich in seine Schultern. »Du musst mich töten. Versprich es mir. Bevor er uns findet. Bevor es zu spät ist .«
Sie redete im Fieberwahn, aber die Angst in ihren Augen war echt. War das der Grund, warum sie aus Chicago geflohen war? »Wer ist dieser Mann? Warum hast du solche Angst vor ihm? Liling, ich bin hier. Ich werde dich beschützen .«
Sie schüttelte den Kopf, und Tränen rannen aus ihren Augen. »Das kannst du nicht. Nicht vor ihm .« Sie legte die Hände über ihren Mund, dann ließ sie sie wieder sinken, und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. »Er ist das Meer und der Fluss und der See « , sagte sie und sang die Worte beinahe. »Er ist der Regen und der Schnee und der Hagel .«
Sie sprach von ihm, als wenn sie ihn lieben würde, diesen Mann, der ihr so furchtbare Angst machte. »Wer ist er ?« , wollte Valentin wissen.
Sie runzelte die Stirn, so als hätte sie erwartet, dass er sie verstand. »Er ist der Tsunami. Niemand kann ihn aufhalten. Wir werden sterben. Alle um uns herum werden sterben .«
Er hielt sie fest, während sie an seiner Brust weinte. »Erzähl mir, von wem du sprichst, Geliebte .«
»Er ist kein Mensch « , flüsterte sie und sackte gegen ihn. »Er ist ein Monster .« Ihre verweinten Augen schlossen sich. »Genau wie ich .«
Als Liling das Bewusstsein verlor, spürte Valentin ein Brennen auf seiner Haut und schob seine Hand zwischen sie. Die Haut über ihren Rippen war an einer Stelle sehr heiß, über einer kleinen, unnatürlichen Erhebung an einem Knochen.
Er erinnerte sich an das Gefühl der Wärme, das ihn umgeben hatte, als sie ihn mit ihren heilenden Händen berührt hatte. Er nahm an, dass ihr Körper versuchte, sich selbst zu heilen, aber die Kugel in ihr behinderte diesen Prozess offenbar. Vielleicht vergiftete sie Liling sogar, wie Kupfer es bei den Kyn tat. Er würde die Kugel
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