Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
anrufen«, bot er an, und die Sorge war in seinen dunklen Augen deutlich zu sehen. »Oder ich bleibe heute Nacht hier, wenn du gerne Gesellschaft hättest.«
John war bei Alex auf der Intensivstation gewesen, doch eine Krankenschwester hatte ihr gesagt, dass sie während seines ersten und einzigen Besuchs geschlafen hatte. Er hatte eine Karte mit der Zeit und dem Datum einer Messe hinterlassen, die er für sie in St. Luke hatte lesen lassen. Auf der Rückseite stand eine kurze Nachricht; er würde in einer Woche nach Rom fahren. Aber selbst Johns plötzliche Reise und das fehlende brüderliche Interesse machten ihr keine Sorgen.
Es würde ihr gut gehen, und John auch. Alles würde gut werden. Da war sich Alex sicher.
»Nein danke, Charlie.« Nachdem tagelang an ihr herumgezogen und -gestochen worden war, musste sie wirklich alleine sein. Aus einem Impuls heraus fügte sie hinzu: »Hör auf, dir Sorgen zu machen. Ich habe überlebt.«
»Also dann.« Er küsste sie auf die Stirn. »Ruh dich aus. Ich komme morgen auf dem Weg zur Visite vorbei und sehe nach dir.«
Als er gegangen war, schaltete Alex alle Lichter aus und saß im Dunkeln. Sie war etwas verwirrt über ihre Gefühllosigkeit angesichts ihres Martyriums. Jeder, der so etwas wie sie durchgemacht hatte, durfte hysterisch oder zumindest ein wenig aufgeregt sein, doch sie war ziemlich ruhig. Fühlte sich so, seit sie auf der Intensivstation aufgewacht war. Und da war auch ein neues und ausgeprägtes Gefühl der Vorahnung, aber sie hatte keine Ahnung, woher das kam.
Ich wart e … auf was? Hatte sie einen Termin gemacht, einen, der zusammen mit den sechs Tagen verloren gegangen war? Es war kein Patient; Grace hatte alle ihre offenen Fälle an ein paar Kollegen abgegeben. Luisa hielt sich wacker. Nein, was immer an ihr nagte, hatte nichts mit ihrer Praxis zu tun. Hab Geduld. Sei ruhig. Es wird dir wieder einfallen.
Er kam eine Stunde, nachdem Charlie gegangen war, und schellte an der Tür.
Wurde auch Zeit. Alex wollte ins Bett gehen, aber sie würde sich zuerst darum kümmern.
Der Mann an der Tür sah besser aus, als sie erwartet hatte. Groß, schlank und in einem schönen grauen Anzug und einem schwarzen Trenchcoat.
Er trug einen Aktenkoffer wie ein Anwalt, aber sein Haar war zu lang fürs Gericht.
Wie die Mähne eines Löwen, dachte sie und bewunderte es. Merkwürdig, dass das Haar um sein Gesicht herum schlohweiß war; er sah sehr jung aus, nicht älter als höchstens vierzig. Ein leichter Rosenduft stieg ihr in die Nase und ließ sie tief einatmen, bevor sie ihn anlächelte. »Hallo.«
»Guten Abend, Dr. Keller.« Seine Stimme war tief und weich und hatte einen deutlichen französischen Akzent. »Darf ich reinkommen?«
Kenne ich irgendeinen Franzosen? Alex hatte in ihrem ganzen Leben noch keinen Fremden in ihr Haus gelassen, aber es war lächerlich, ihn nicht hereinzubitten. Wie sollte sie denn sonst herausfinden, warum sie auf ihn gewartet hatte? Außerdem musste sie ihn kennen, woher hätte er sonst ihre Adresse gewusst?
Die Verabredung.
Natürlich, das war es. Sie musste ihn gebeten haben, herzukommen und sie zu besuchen. Sie konnte sich nur nicht an seinen Namen oder den Grund für seinen Besuch erinnern. »Ja, bitte, kommen Sie rein.«
Der Rosenduft wurde stärker, als er ins Haus trat. Vielleicht verdiente er seinen Lebensunterhalt damit, sie zu züchten oder auszuliefern. Er dürfte mir gerne einen Strauß schenken , dachte Alex, während sie heimlich seine Schultern und seine langen Beine betrachtete.
Der Mann lehnte den Drink, den sie ihm anbot, ab und wollte sich auch nicht setzen. Er legte seinen Aktenkoffer auf den Couchtisch. »Das hier gehört Ihnen.«
»Ich glaube nicht.« Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie den Aktenkoffer. »Meiner ist braun, nicht schwarz.«
»Was ich meine, ist, dass ich es für Sie mitgebracht habe.« Er ging zu ihr und betrachtete ihr Gesicht. »Das ist keine Entrückung. Wie kann das sein?« Er wirkte sehr beunruhigt.
»Mir geht es gut, wirklich.« Sie verzog das Gesicht. »Ich kann mich nur nicht mehr erinnern, was mir passiert ist. Ich wa r … das ist eine ziemlich lange Geschichte.«
»Ich weiß. Ich bin ein Teil davon.« Er presste die Fingerspitzen an ihren Hals. Wärme breitete sich auf ihrer Haut aus, da, wo er sie berührte. »Es wird Zeit, sich zu erinnern, Alexandra. Erinnere dich an New Orleans. Erinnere dich an mich.«
Erinnerungen drangen durch die verwirrende Trägheit, böse und
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