Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
sich an ihn geklammert, hatte fast an seiner Seite geklebt und ihre kleinen Hände in das schmutzige T-Shirt gekrallt, das von seinem dürren Oberkörper hing.
Johnny, ich hab Angst. Sie sieht stark aus.
John hatte wie immer eine grimmige Bereitschaft in sich gespürt, alles zu tun, was nötig war, um seine Schwester zu beschützen. Aber Audra war genauso friedfertig wie freundlich und großzügig gewesen, und Alexandra war bei den Kellers gut aufgehoben gewesen. Bevor er ins Priesterseminar gegangen war, hatte John das sichergestellt. Und als sie umkamen, hatte er die Versicherungssumme benutzt, um Alexandra auf eine der besten Privatschulen des Landes zu schicken und später ihr Medizinstudium zu bezahlen.
Alexandra hatte ihm niemals gedankt. Nicht ein Mal. Nach der Beerdigung war sie wieder zu dem kleinen Mädchen vor dem Jugendamt geworden, hatte geweint und sich an ihn geklammert. Sie hatte ihn angefleht zu bleiben. Sogar obszöne Schimpfwörter geschrien, als er sie in ein Taxi setzte, das sie zum Internat fahren sollte.
Alex’ kleine, geballte Fäuste, die gegen das Fenster hämmern. Zur Hölle mit dir, John, du kannst mich doch verdammt noch mal nicht einfach alleinlassen!
John wusste, dass er hätte bleiben und ihr erklären sollen, warum sie ohne ihn besser dran war. Aber Alexandra wollte keine logischen Erklärungen hören. Sie wollte ihren Bruder, und mit ihr war nicht zu reden.
Sein Kurzzeit-Visum hatte ihm nicht den Luxus gestattet, zu bleiben und seine verzweifelte Schwester zu trösten. Er war nur aus Mitgefühl aus dem Gefängnis in Rio entlassen worden und nur, um zur Beerdigung zu fahren und seine Familienangelegenheiten zu regeln. Wenn er nicht freiwillig zurückgekehrt wäre, dann hätte die amerikanische Regierung ihn mit Freuden ausgeliefert.
John hatte nicht gewollt, dass Alexandra von den Anschuldigungen erfuhr, die man in Brasilien gegen ihn erhob, oder wie viel Zeit er in diesem stinkenden Loch von Zelle verbracht hatte. Bis heute glaubte sie, dass er zurückgefahren war, um die Armen zu missionieren, und nicht, um im Gefängnis zu sitzen, während sich die Anwälte des Erzbistums darum bemühten, das Netz aus Lügen zu entwirren, das eine verärgerte, rachsüchtige menina do doce um ihn gesponnen hatte.
Die ganze Sache war eine unangenehme Affäre zum falschen Zeitpunkt gewesen. Die internationale Aufmerksamkeit, die die wenigen Pädophilen im katholischen Priesterstand erregten, hatte die brasilianische Regierung wütend gemacht, die in der Folge jeden Fall, in dem ein Priester einer Sexualtat verdächtigt wurde, genau untersuchte. Die Kirche brauchte acht lange Monate, um die Regierung dazu zu überreden, John freizulassen. Er wurde vom Gefängnis zum Flughafen gebracht und ins Flugzeug gesetzt. Er hatte nicht einmal gewusst, wohin es flog, bis es in Los Angeles landete und er am Flughafen von einem weiteren Anwalt in Empfang genommen wurde.
Der Skandal hatte John Patrick Kellers makellosen Ruf als Priester ruiniert, und die Kirche wollte, dass er über seine Fehler nachdachte. Zur Strafe wurde er in ein Trappisten-Kloster in den Bergen geschickt, wo er blieb, bis man ihn vor fünf Jahren nach Chicago versetzte.
»Du nicht sagen viel, eh?«, meinte Tolomeo.
»Nein, nicht viel.« All diese Jahre bei den Trappisten, die an ihr Schweigegelübde gebunden waren, hatten auf jeden Fall eine Wirkung auf John gehabt. Schweigen war nicht Gol d – es war ein schreckliches, leeres Vakuum, das sich mit jedem Tag, den man schweigend verbrachte, wie ein Gewicht auf die Seele legt e – , aber es hatte ihm die Geschwätzigkeit ausgetrieben. Er blickte in seinen Suppenbehälter, überrascht darüber, dass er leer war. »Gute Suppe.«
» Sì, die beste.« Tolomeo bog um eine Kurve und fuhr durch ein Tor in etwas, das wie ein leeres Fabrikgebäude aussah. Er bedeutete John, den Behälter auf dem Boden des Wagens stehen zu lassen. »Dies der Ort. Wir jetzt runterfahren.«
Runter fuhren sie wirklich, in einem Lastenaufzug, der bei jedem Meter, den es abwärtsging, ächzte und bebte. John sah durch die offene Gittertür, dass sie an sechs verschiedenen Etagen vorbeikamen, und spürte, wie die Luft sich veränderte, spürte den Druck auf seinem Trommelfell. Ein schwacher unangenehmer Duft wurde stärker, je weiter sie nach unten kamen.
»Wo sind wir?«, fragte er Tolomeo.
»Unten.« Der Aufzug kam zitternd zum Stehen, und der Priester öffnete das Gitter. »Hier lang jetzt.«
John folgte ihm
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