Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
Rolle passt zu Claudette oder vielleicht noch zu Irene, aber jetzt habe ich entschieden, dass ich sie selbst spiele. Wer sollte sie sonst spielen– wenn selbst ich schon nicht ich selbst sein kann? «
» Allzu weit im Voraus würde ich erst mal nicht denken, Mrs. Burnside « , sagte die kleine rothaarige Frau unsicher.
» Nein, Mame « , sagte die andere Frau. » Elizabeth hat Recht. Wirklich, zuerst müssen Sie etwas zu Papier bringen, das Sie einem Verleger vorweisen können. Filmrechte, Serienrechte und diese Dinge müssten erst einmal warten. «
» Oh, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, meine Lieben « , flötete Tante Mame. » Meine Sekretärin ist oben und tippt schon an meinem… «
Auf Zehenspitzen verließ ich den Raum wieder.
Oben ging ich in das Zimmer, das eigentlich immer mir gehört hatte. In der Zeit, als ich es bewohnte, war es nie besonders aufgeräumt. Doch jetzt sah es einfach verboten aus. An den Wänden Aktenschränke aus Metall, außerdem zwei große Schreibtische, drei Telefone, stapelweise Nachschlagewerke und überall verstreut Zettel und Blätter. Ein Diktafon quäkte, und eine etwas zerzauste Frau haute auf eine Schreibmaschine ein. Ich schlich mich aus dem Zimmer und ging in Tante Mames Salon. Viel besser war es da auch nicht. Hier lagen auf jeder freien Fläche Ballettprogramme, stapelweise Fotos und alte Ausgaben der Buffalo Evening News herum. Hier und da fanden sich auch Papierschnipsel mit Notizen etwa folgenden Inhalts: » von der Razzia im Nightclub erzählen « oder » Dr. Cornell und Daddys Gicht erwähnen « . Ich steckte mir eine von Tante Mames Zigaretten an und setzte mich, vollkommen verwirrt. In dem Moment hörte ich, wie die Haustür geöffnet wurde. » Also, ciao, ihr Lieben. Für mich heißt es jetzt, zurück in mein Écritoire und bis in die Puppen gearbeitet. Ich rufe Sie morgen früh an, Mary. Wir Buffalo-Girls müssen doch zusammenhalten, was? À bientôt! « Die Haustür wurde geschlossen, und ich sah, wie die beiden Frauen im Taxi zusammensackten.
Eine Sekunde später gab es helle Aufregung in meinem ehemaligen Schlafzimmer. » Also, Agnes, meine Liebe « , sagte Tante Mame, » sind Sie vorangekommen? «
» Oh ja, ich glaube, sogar sehr weit, Mrs. Burnside. In so einer hübschen Umgebung hatte ich noch nie eine Stellung, und die Arbeit ist ja so interessant. Ach Gottchen, als ich noch bei der Prudential-Versicherung gearbeitet habe, mussten wir immer nur endlose Formschreiben tippen, und Miss Montgomery, die die Aufsicht hatte, guckte uns ständig über die Schulter, und die Nachhilfeklasse in der Abteilung Stenografie war einfach nur schrecklich, und… «
» Sehr schön, Agnes « , unterbrach Tante Mame. » Und hat der Koch Ihnen etwas Anständiges zu Mittag gebracht? «
» Ach Gottchen, ja, Mrs. Burnside. Es gab Kraftbrühe und Lammkeule und kleine petits pois Erbsen und… «
» Ganz wunderbar, meine Liebe. Und jetzt werde ich Ito Bescheid sagen, er soll Sie heimfahren. «
» Oh, Mrs. Burnside… «
» Keine Widerrede, Agnes, decken Sie die Schreibmaschine ab, und Ito wird Sie nach Kew Gardens entführen. Tragen Sie noch etwas Lippenstift nach, und dann machen Sie, dass Sie fort kommen. «
» Gottchen, Mrs. Burnside, meine Mutter würde sterben, wenn ich mich schminken würde. «
» Wie auch immer. Sie haben den ganzen Tag hart gearbeitet. Nun gehen Sie schon nach Hause. « Tante Mame platzte in den Salon und schlang ihre Arme um mich. » Darling, mein Junge! Mein schöpferisches Verlangen lässt mir keine Ruhe. Ich fiebere vor Anspannung! Ich weiß, ich nehme mich zu hart ran, aber das liebe ich doch gerade. «
» Wovon redest du überhaupt? « , fragte ich.
» Wovon wohl, Darling? Von meinem Buch natürlich! «
» Was für ein Buch? Wer sind diese fremden Frauen? «
Im selben Moment schaute schüchtern die junge Frau, die ich eben an der Schreibmaschine hatte sitzen sehen, zur Tür herein. » Also dann, gute Nacht. «
» Ach, Agnes, kommen Sie doch herein und sagen Sie meinem Neffen guten Tag. Sie werden ihn bereits kennen, Sie haben ja heute Nachmittag an dem besagten Kapitel gearbeitet. «
» Ach Gottchen, ist das der Junge, den Sie in einem Weidenkorb vor Ihrer Haustür gefunden haben, Mrs. Burnside? « Ich staunte nicht schlecht.
» Genau der, meine Liebe. Patrick, darf ich dir meine Sekretärin, meine rechte Hand, meine strengste Kritikerin– meine Alice B. Toklas vorstellen? Miss Gooch, liebe Agnes, das ist mein
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