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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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Aoife und Fiona hatten sich wegen dieses Mistkerls beinahe geprügelt, und ich konnte das kaum ertragen. Ganz zu schweigen von den Drohungen, die unsere liebe Tante seit kurzem ständig äußerte. Wenn ich also sage, dass der Mord an dem seanchai aus meinen Schwestern und mir wieder eine richtige Familie machte, dann verdreh ruhig die Augen. Seit Jim seinen letzten Atemzug getan hatte, waren wir uns nähergekommen, und das muss genügen.
    Wir fuhren also zurück zu Aoifes Cottage und verließen diesen gottverlassenen Ort ein paar Tage lang nicht mehr. Das mag dir dumm vorkommen, weil wir ja die naheliegenden Tatverdächtigen waren, aber wir brauchten einander mehr als einen guten Verteidigungsplan für das erste Polizeiverhör. Ehrlich gesagt, verschwendeten wir keinen Gedanken an unsere Zukunft. Eine Zeit lang existierten wir in einer Blase, in der es nur uns gab. Und wenn wir die Augen schlossen, fühlten wir uns alle, als lebten wir wieder im zweiten Stock über dem Zeitungsgeschäft, und unsere Eltern würden gleich heraufkommen und mit uns gemeinsam zu Abend essen.
    Die erste Nacht verbrachten wir mit dem Versuch, uns zu beruhigen, aber das funktionierte nicht. Im Morgengrauen brachen wir schließlich erschöpft zusammen, als hätten wir tagelang körperliche Arbeit geleistet. Den ganzen folgenden Tag - so erinnere ich mich zumindest - suchten wir in der Küche nach etwas Essbarem außer Schokolade. Ich fand ein bisschen Tiefkühlpastete, machte sie warm und teilte sie durch drei. Sie schmeckte scheußlich. Wir sahen mit knurrenden Mägen zu, wie sich eine weitere Nacht in graue Dämmerung auflöste und schließlich zum Tag wurde. Wir wachten wieder ein bisschen auf. Vielleicht ist ja gar nichts passiert, dachte ich, und wir langweilen uns ganz umsonst zu Tode. Die Polizei war immer noch nicht aufgetaucht. Also beschloss ich, mir die Langeweile dadurch zu vertreiben, dass ich ein paar Beweisstücke vernichtete. Ich hatte mal in einem Buch gelesen, dass man das machen sollte.
    Während Fiona versuchte, aus Spaghetti und Ketchup etwas Essbares zu zaubern, übergoss ich unsere Kleider mit Benzin und zündete sie an. Sogar Aoifes Lieblingsjacke, auf der Männer mit Netzen vergeblich gelbe Schmetterlinge jagten, musste daran glauben, genau wie mein höllisch kurzes Nuttenkleid. Das Messer war schwieriger zu entsorgen. Ich riss mit einer Zange die Klinge aus dem Griff, den ich dann zu einem schwarzen Klumpen einschmolz. Dann marschierte ich mit einer Schaufel tief in Aoifes geheimnisvolle Wälder, in denen sie so oft stand und stumm den Bäumen lauschte. Mir lief es eiskalt über den Rücken, denn die mit Tau benetzten Bäume schienen sich mir in den Weg zu stellen. Schließlich fand ich die richtige Stelle. Ich hörte die Flut kommen und begriff, dass ich so weit von zu Hause fortgewandert war, dass ich mich nun in der Nähe einer Stelle befand, an der wir Jims sterbliche Überreste zurückgelassen hatten. Neben einer enthaupteten Eiche, an der nur noch ein einziger Zweig Laub trug, grub ich ein einen Meter tiefes Loch, warf die Klinge hinein, füllte das Loch wieder mit Erde und bedeckte das Ganze mit Zweigen. Auf dem Rückweg realisierte ich plötzlich etwas, das ich bisher nicht begriffen hatte.
    Jim hatte seinen eigenen Tod selbst herbeigeführt. Es gab keine andere Erklärung dafür, dass er vor uns so schamlos mit Aoifes Schändung angegeben hatte. Er hatte meine Klinge so sicher geführt, als hätte er das Messer selbst in der Hand gehabt. Der Gedanke machte mich damals wütend, und ich fühlte mich irgendwie betrogen. Ich wusste, warum er es getan hatte. Früher oder später hätte ihn ein findiger Garda bei einem Fehler ertappt und ihn hinter Gitter gesteckt. Vielleicht sogar schon an seinem Hochzeitstag. Ins Gefängnis gegangen wäre er niemals. Vielleicht wusste er auch, dass man erst nach einem spektakulären Tod zu einer Legende wird. Ich zitterte und machte, dass ich aus diesem Wald herauskam, der mir mehr Angst machte als das saugende Geräusch beim Herausreißen des Messers aus Jims Brust. War das die Macht der alten Märchen, ein Überbleibsel von Jims Geschichten? Oder verhielt ich mich eben nur wie ein Mensch, der einen anderen getötet hat? Sag du's mir.
    Während ich das Feuer schürte und beobachtete, wie die letzten Stofffetzen zu Asche zerfielen, starrte ich über die Felder. Am Rand der gekiesten Auffahrt konnte man bis zur Stadt sehen, wo ein paar Küchenfenster wie trübe Sterne erleuchtet

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