Darling Jim
Meine Hände kribbelten. Das dunkle Blut auf ihnen gerann bereits. Ich sah zu meinen Schwestern. Aoife stützte Fiona, die mir zuwinkte und unter Tränen versuchte, irgendetwas zu sagen. Die Sonne glühte auf unseren Köpfen und färbte den Himmel so weiß wie ein Blatt Papier.
Ich brach den Schlüssel im Zündschloss ab und steckte ihn in meine Tasche. Vielleicht wollte ich auch eine Trophäe mitnehmen, ich weiß es nicht. Ich machte es einfach. Dann trat ich so lange gegen die Maschine, bis sie ins Wasser stürzte und versank. Unter der Wasseroberfläche war kein roter Schimmer mehr zu sehen. Vielleicht, dachte ich einen Augenblick lang, war Jim Quick überhaupt nicht hier gewesen. Ich glaubte es beinahe selbst. Als ich zu meinen Schwestern zurückging, wurde mir seit langer Zeit wieder ein wenig leichter ums Herz.
Jims Augen standen halb offen. Ein weißer Schmetterling wurde von dem Rot an seiner frischen Halswunde angezogen und setzte zur Landung an. Ich versetzte der Leiche einen Tritt, und sie sackte seitlich zusammen. Schon jetzt fühlte er sich an wie ein Sack verfaulter Äpfel. Er bewegte sich nicht, als ich meinen Fuß noch einmal in seinen Rücken rammte und spürte, wie im Inneren etwas brach.
Wieder hörten wir das Bellen eines Hundes in der Nähe. Ohne ein Wort schlang Aoife sich die Flinte um die Schulter und nahm uns beide an den Händen. Mein Körper war völlig taub. Ich spürte meine Hände erst wieder, als ich auf dem Beifahrersitz saß und sie an meinem dummen Kleid abwischte. Sie schmerzten so sehr, als hätte ich ihn zu Tode geprügelt. Ich weiß bis heute nicht, warum. Nehmen Hände, die getötet haben, auch einen Teil der verursachten Qual in sich auf? Seit jenem Tag schmerzen sie immer wieder.
Ich schaute aus dem Rückfenster von Aoifes Taxi und sah Jim immer noch unter dem Baum sitzen, als würde er ein kleines Nickerchen machen. Er war sogar als Leiche attraktiv. Ich weiß noch, dass ich mir in diesem Augenblick wünschte, wir hätten ihn an den Füßen aufgehängt. Oder ihn gefragt, ob er den Funker kannte, der alles über ihn zu wissen schien. Aoife trat aufs Gas, und wir fuhren los. Ich hörte nur das Knirschen der Reifen im Sand.
Dann hielt der Wagen so abrupt an, dass ich mir beinahe den Schädel am Armaturenbrett einschlug. Aoife ließ den Motor an, sprang aus dem Benz und rannte zurück zu der Waldlichtung. Fiona und ich starrten ihr nach. Das Blut auf unseren Gesichtern und die Tat, die wir gemeinsam begangen hatten, machten Worte unnötig. Der verdammte Hund hörte einfach nicht auf zu bellen, und das Geräusch kam näher. Aoife kam zum Auto zurückgerannt, stieg ein und gab Vollgas, die Tür stand noch offen und wurde vom Wind zugeknallt. In diesem Augenblick sah sie aus wie Fionas Sphinx. Ihre Augen blickten starr nach vorne, und sie bewegte keinen Muskel ihres Gesichtes. Sie raste mit einer solchen Höllengeschwindigkeit zurück zum Cottage, dass ich nicht einmal die Straßenschilder lesen konnte.
»Warum ... bist du zurückgegangen?«, fragte ich sie schließlieh, und es klang, als entweiche mein Atem aus der Lunge einer Fremden.
»Das Messer«, sagte sie wie aus weiter Ferne. »Ihr habt es in seiner Brust stecken lassen.«
Falls du jetzt hören willst, dass wir wegen unserer Tat fürchterliche Gewissensqualen leiden mussten, muss ich dich leider enttäuschen. In den Tagen, die Jims, nun ja, Exekution folgten, suchten wir weder verzweifelt nach Rosenkränzen, noch bat eine von uns um Vergebung für unsere Sünden, soviel ich weiß. Und die alte Lady Macbeth lag falsch, wie sich herausstellte, denn Jims Blut ließ sich mit gewöhnlicher Seife und warmem Wasser wunderbar entfernen.
Ich weiß, was du jetzt denkst, aber du bist auf dem Holzweg.
Du glaubst, wir hätten über den Mord gejubelt, den wir begangen hatten, nicht wahr? Wie verrückte Squaws, die den Skalp ihres Lieblingsfeindes in die Luft hielten und johlend ums Feuer tanzten. Schließlich waren wir verdorbene Jugendliche, die keine Ahnung hatten, was sie da angerichtet hatten, und sich tagelang an Feuerwasser berauschten. Habe ich deine Gedanken erraten? Aber so war es auch nicht.
Die Wahrheit ist, dass wir wussten, dass von nun an keine Leichen junger Frauen mehr in unserer Gegend halb nackt im Straßengraben liegen würden. Ja, ich gebe zu, wir hatten auch Aoife gerächt, aber das war nicht alles. Meine Schwestern und ich hatten uns voneinander entfernt, schon bevor Jim das Ganze noch schlimmer machte.
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