Darling Jim
»Das Gesicht so zerschlagen, als wäre sie unter einen Laster geraten. Trophäen mitgenommen. Meine Quelle sagt, sie habe mindestens vier Ohrringe getragen, einer war von ihrem Verlobten. Sie sind alle weg. Over.«
»Genau wie bei Mrs. Holland? Over«, fragte Rosie und kritzelte eifrig auf dem Notizblock herum, den sie immer in Reichweite aufbewahrte, als würden jeden Moment die wichtigsten Nachrichten über den Äther zu ihr gelangen. Aber ihre letzte Bemerkung ließ mich aufhorchen. Ich spitzte die Ohren. Denn meine Schwester hatte gerade den Namen der toten Frau aus Drimoleague genannt.
»Ach, komm endlich da weg, okay?«, sagte Aoife und stellte die Einkaufstüten auf den Küchentisch. Sie wurde immer leicht gereizt, wenn sie Hunger hatte, und bevor ich den Finger an die Lippen legen konnte, lag der größte Teil der Zutaten fürs Abendessen bereits auf dem Tresen. Ich kann bis heute nicht erklären, warum ich so restlos davon überzeugt war, dass die Todesfälle, die sich in letzter Zeit in unserer Gegend ereignet hatten, miteinander in Verbindung standen. Letztes Jahr hatte eine rumänische Bande hier Banken ausgeraubt und dabei mehrere Angestellte getötet. Aber das hier war etwas ganz anderes, denn es betraf uns viel direkter. Aoife klapperte demonstrativ mit Töpfen und Pfannen, während Rosie und ich uns zu dem Transceiver vorbeugten.
»Richtig, Nightwing. Allerdings war ihr Gesicht intakt. Aber sonst die gleiche Vorgehensweise, bis hin zu den fehlenden Ohrringen. Mein Spion bei der Garda sagt, es seien keine Fingerabdrücke gefunden worden. Over.«
Ein Rauschen, dann wurde Master Blaster von einer lakonischen Männerstimme übertönt, die klang, als sei ihr Besitzer noch in der Grundschule.
»Ich habe gehört, dass die Frau in Drimoleague in jener Nacht nicht alleine nach Hause gegangen ist. Over«, sagte er stolz, weil er die skandalsüchtigen Erwachsenen im Äther übertrumpft hatte.
»Medium oder durch, meine Lieben?«, schrie Aoife aus der Küche. Der Duft von brutzelnden Steaks erfüllte die winzige Wohnung, in der überfüllte Aschenbecher mit Roisins schlechten Bildern von Oscar Wilde in Lederhosen um Platz konkurrierten. Der gute Oscar räkelte sich in Posen, die die Erzdiözese in Kerry entschieden verurteilt hätte. Rosie und ich winkten ab, und Aoife schüttelte den Kopf.
»Wer war denn bei ihr, junger Mann? Over«, fragte die leicht verschnupfte Master B1aster.
»Für Sie immer noch Overlord, Madame. Und ich weiß aus sicherer Quelle, dass Mrs. Holland gesehen wurde, als sie mit -« Ssssst!
Ein elektrisches Knistern ertränkte den Rest der Nachricht.
Rosie drehte an den Knöpfen ihrer Maschine, aber der Junge war nicht mehr zu finden.
»Das heißt innen noch ein bisschen rosa, nehme ich mal an«, rief Aoife, deckte den Tisch und sah uns mit einem auffordernden Blick an, der direkt von unserer verstorbenen Mutter hätte kommen können.
»Bis zum nächsten Mal, Master Blaster. Nightwing out«, sagte Rosie resigniert und tippte zweimal auf ihr Mikrofon.
»Bis dann, Mädchen. Und out«, grüßte die Stimme zurück, und man hörte ebenfalls zwei Tippgeräusche. Dann verstummte das Rauschen.
»Dürfte ich Madame und Madame zu Tisch bitten?«, fragte Aoife ungeduldig. »Und wehe, ich höre noch ein Wort über diesen verfluchten Mord, ehe wir mit dem Essen fertig sind.« Das war mir nur recht. Ich wollte eigentlich überhaupt nicht darüber reden.
Wir hatten kaum den ersten Bissen in den Mund genommen, als Rosie mich musterte, kaute und dann grinsend sagte: »Du strahlst wie jemand, der ordentlich gevögelt worden ist. Erzähl doch mal.«
»Keinen Piep«, antwortete ich, aber ich schaffte es einfach nicht, ihr böse zu sein.
»Auf einer Skala von eins bis zehn?«, fragte Aoife. Die Neugier meiner Zwillinge war unzähmbar.
Rosie rümpfte die Nase. »Welche Skala meinst du? Finbar
hat bei Weitem nicht das Niveau der meisten anderen heißen Typen.«
»Ach, hör auf«, sagte ich und sägte mit gespieltem Ärger an meinem Steak herum. In Wirklichkeit war ich aber geschmeichelt. Mit Finbar hatte ich in meiner Familie nie derart Eindruck geschunden. »Okay. Er war perfekt, wenn ihr es genau wissen wollt.«
»Wie oft?«, wollte Roisin wissen.
»Das wissen nur der liebe Gott und die Parzen«, sagte ich übertrieben geheimnisvoll und spielte mit meinem Teller.
»Halt den Boss da raus«, tadelte Aoife.
Ich legte mein Messer und meine Gabel beiseite und sah aus dem Fenster. Es war noch so
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