Darling Jim
Seemannsbraut im Türrahmen zu verharren, schloss ich die Tür. Sekunden später erbebten meine Fensterscheiben, als er das verchromte Biest anschmiss und die Straße hinunterschoss. Ich stand hinter der Tür und lauschte dem Geräusch, bis es verklungen war.
Dann hörte ich wieder mein Handy vibrieren.
Finbar, dachte ich. Oh Gott, auf dieses Gespräch hatte ich nun wirklich keine Lust. Ich hatte mir schon eine wacklige Ausrede zurechtgelegt, als ich sah, dass meine dämonische Schwester dran war.
»Schmeiß deinen Dichter aus dem Bett, und geh endlich ans Telefon«, keifte sie gerade in den Hörer, als ich dranging. »Oh, hallo. Hast du gehört, was mit Sarah McDonnell passiert ist?« »Hat sie es endlich geschafft, einen Norweger ins Bett zu zerren?«
Roisin seufzte über die Ignoranz ihrer Schwester. »Sie ist so tot wie Moiras Heilige. Hab's grade über Funk erfahren. Bronagh ist schon mit den anderen Uniformträgern beim Glebe-Friedhof.«
Bronaghs Gesicht war puterrot. Sie spannte gerade GARDA-Band um ein paar Bäume hinter der niedrigen, steinernen Einfriedung, die von der Straße aus nicht einsehbar war. Sie sah verweint aus und hatte offensichtlich die Nase voll von Fragen, obwohl noch niemand begonnen hatte, welche zu stellen.
»Ich darf nicht darüber reden«, sagte sie tonlos, als sie mich auf dem Fahrrad den Hügel hinaufkeuchen sah. »Die verdammte Presse ist schon auf dem Weg hierher. Sie kommen sogar aus Cork.«
»Kein Problem, Bronagh«, sagte ich und klopfte ihr auf die Schulter.
Ihr Gesicht verzog sich, und sie biss die Zähne zusammen, um ihre Tränen zurückzuhalten. Einer ihrer älteren Kollegen verscheuchte gerade zwei Fotografen und schickte ihr einen Blick, der deutlich sagte: Reiß dich zusammen oder verschwinde. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie bedrückt.
Die Plastikplane, mit der man Sarah notdürftig zugedeckt hatte, verbarg ihren Körper nicht vollständig. Sie lag auf dem gewundenen Pfad zu der überwucherten Ecke des Friedhofs, in der schon lange niemand mehr begraben wurde. Der Wind hob eine Ecke der Plane an und gab den Blick auf ihre Beine frei. Ein Schuh fehlte, doch der andere glitzerte golden im Sonnenlicht. Das billige Leichentuch flatterte stärker, und Bronagh rannte zu Sarah, um es wieder festzustopfen.
Aber ich hatte bereits gesehen, dass ein Ohrring fehlte.
Über das, was mit ihrem Gesicht passiert war, will ich nicht reden. Jede Beschreibung wäre wie ein Klischee aus dem Fernsehen. Benutz deine Phantasie, und stell dir einfach einen Menschen vor, der kein Gesicht mehr hat.
Ich zog Bronagh zur Seite, als zwei Streifenwagen in den Friedhof einbogen und ihre Vorgesetzten ablenkten. »Was ist passiert?«
»Sergeant Murphy sagt, es muss ein irrer Junkie gewesen sein, weil ihr Gesicht so übel zugerichtet ist.« Sie kaute an ihrem Fingernagel und warf einen verstohlenen Blick auf die Überreste von Castletownberes ehemaliger Sexkönigin.
»Aber du bist anderer Meinung?«, fragte ich.
»Kommen Sie mal bitte?« Bronaghs Chef warf ihr einen weiteren strengen Blick zu, und sie drehte sich auf ihrem blitzsauber geputzten Absatz um und rannte ohne ein weiteres Wort zu ihm. Sie senkte den Kopf, um sich, wie ich vermutete, eine Abreibung abzuholen. Ich hatte meine Antwort. Und ich konnte einfach nicht aufhören, an die einsame Witwe in Drimoleague zu denken, die angeblich eines natürlichen Todes gestorben war.
Roisins körperlose Freunde raunten sich bereits die absonderlichsten Mordtheorien zu, bevor Aoife und ich zum Abendessen eintrafen.
Meine Schwester kauerte vor ihrem blinkenden Laster und hörte uns nicht einmal in die Wohnung kommen. So war es schon immer gewesen. Aber heute waren Rosies Wangen stärker gerötet als sonst und leuchteten sogar durch ihr weißes Punk-Make-up.
» ... außerdem das Gerücht, dass vor fünf Tagen noch ein Mädchen bei Kenmare gefunden wurde«, sagte eine aufgeregte weibliche Stimme, die aus den riesigen Boxen drang, die Rosie an Haken in der schwarzen Decke aufgehängt hatte. »Die Bullen sagen natürlich nichts. Dem Mädchen wurde genau dasselbe angetan. Du weißt ja, was ich meine, Nightwing. Over.«
Nightwing war offenbar der Funkername meiner süßen kleinen Schwester. Irgendwie naheliegend.
»Sag's mir trotzdem, Master Blaster«, sagte Rosie, die uns endlich bemerkte und mit einem Lächeln in die Wohnung winkte.
»Höschen bis zu den Knöcheln heruntergezogen, genau wie bei Sarah«, fuhr die Stimme fort.
Weitere Kostenlose Bücher