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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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unteren Teil der westlichen Mauer hörte. Etwas an diesen Lauten erfüllte ihn mit einem Gefühl, das an Genuss grenzte, wenn er noch gewusst hätte, wie man so etwas empfindet. Bilder stiegen in ihm auf und bohrten sich wie Messer in sein Gehirn, wenn er sie hörte. Bilder von nackten Frauen, die sich unter ihm wanden. Doch die Visionen verflüchtigten sich schneller als Sturmwolken.
    Als er dem Reh folgte und plötzlich ganz in der Nähe einen weichen, kehligen Laut hörte, flüchtete er deshalb nicht, sondern wagte sich vorsichtig näher.
    Dann vergaß er das Reh völlig.
    Er traute seinen goldbraunen Augen nicht.
    Ein Mann rollte am Boden und versuchte, seinen metallenen Brustpanzer aufzuschnüren, wie eine lüsterne Schildkröte. Neben ihm räkelte sich eine kichernde Frau. Sie war immer ein wenig schneller als er und zog sich das Kleid vom Leib, während er ihr hinterher stolperte. Nach viel Gelächter und spielerischen Klapsen verstummten die beiden, und Euan sah, wie Menschenhaut sich an haariger Menschenhaut rieb, so selbstvergessen, dass die beiden nicht einmal das dornige Gestrüpp störte. Die Augen der Frau waren so blau wie die Kornblumen neben dem Bachufer, an dem die toten Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, angeschwemmt wie Stämme nach der Flut.
    Er umkreiste die Gestalten. Sein Herz donnerte, in ihm tobte ein Sturm. Die Menschenkörper zogen ihn mit einer Heftigkeit an, die ihm vertraut war. Noch heftiger als die Gier, mit der er letzten Winter einen Hirsch gerissen hatte, der zehnmal so groß gewesen war wie er selbst. Die Frau küsste den blassen, glatten Bauch des Mannes, und sie hörten das Knacken der Zweige nicht, als Euan sich den besten Angriffspunkt aussuchte und darauf wartete, dass sein Atem den Rhythmus annahm, bei dem das Blut in seinen Ohren pochte. Nicht einmal, als er sich an sie heranpirschte, bemerkten die beiden ihn, denn die Frau hatte die Lippen um das Geschlecht des Mannes geschlossen, hob und senkte den Kopf, während aus der Kehle des Mannes Geräusche kamen, die Euan endlich als diejenigen erkannte, die er aus den Fenstern hinter den steinernen Mauern vernommen hatte. Stöhnen. Beinahe drang ein Bild aus seiner Vergangenheit in seinen Geist vor, doch es senkte sich wieder unter den Schleier, der sie bedeckte.
    Der Mann drehte die Frau um und wollte sie besteigen. Als er den Kopf hob, war es bereits zu spät.
    Euan schloss die Fänge um seinen Hals, bevor er aufschreien konnte. Er schüttelte seinen starken Kopf so lange, bis er das erste Knacken hörte. Sein Maul füllte sich sofort mit klebrigem, warmem, wundervollem Blut, und er hätte nicht sagen können, was ihm mehr Lust bereitete: die Todeszuckungen des Mannes oder die kehligen Schreie der Frau.
    Er hatte bereits den halben Hals aufgefressen und machte sich gerade an eine weiche Wange, als er merkte, dass die Frau nicht mehr da war. Verwirrung stieg in ihm auf und vermischte sich mit der zufriedenen Sicherheit, die ihm die Befriedigung seiner Blutgier eigentlich hätte verschaffen sollen. Stattdessen spürte er immer noch die seltsamen Regungen, die ihn manchmal überkamen, wenn er sah, wie sich die Wäscherinnen vorbeugten und weißes Leinen gegen die Felsen schlugen. Eine innere Unruhe, ein pochender Druck, für den er keinen Namen kannte. Er wusste jedoch, dass die Frau mit den blauen Augen ihm helfen konnte, dieses Gefühl zu verstehen. Was ihn verwirrte, war, dass ihre Schreie nicht wirklich verängstigt geklungen hatten. Eher so, als spiele sie eine Rolle.
    Euan reckte seine blutige Schnauze in die Luft und schnüffelte.
    Sofort sah er vor seinem inneren Auge den Weg, auf dem die nackte Kreatur geflüchtet war. Er wandte sich noch einmal kurz um, riss ein Maulvoll Fleisch aus dem Hals des Mannes und nahm dann die Verfolgung auf.
    Es hatte begonnen, stark zu regnen, was die Sicht erschwerte und die Spuren seiner Beute verwischte. Bald hatte Euan den Geruch beinahe verloren. Die Bäume knarrten und ächzten ihre ewige Warnung, aber auch als Wolf schenkte er ihnen keine Beachtung. Seine Nüstern erhaschten den Geruch der nackten Frau irgendwo hinter dem verfallenen Friedhof, der mit Wein überwuchert und von Maulwurfshügeln übersät war. Er sah vor sich auf dem Weg einen Streifen Haut aufblitzen, und seine Hinterläufe katapultierten ihn mit aller Macht vorwärts.
    Das Netz bemerkte er erst, als es zu spät war.
    Als er wieder zu sich kam, hörte er von allen Seiten kehlige Laute, und es roch stark

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