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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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nach Branntwein. Euan zappelte hilflos in dem Netz, verhedderte sich dadurch aber nur noch mehr in der Falle. Das Netz hing an einem Ast, er schwebte einige Zentimeter über dem Boden. Er verrenkte den Kopf und sah einen jungen Mann mit großen Augen und schütterem schwarzen Haar, der die Zähne zu einem Lachen bleckte. Wieder stieg eine Erinnerung in ihm auf. In ihr erhob derselbe junge Mann neben Euan den Becher und überreichte ihm ein Geschenk. Es sah aus wie ein Wolfschädel. Er erinnerte sich! Die Burg, sein Bruder! Alles kam zurück. Dieser Mann war sein Freund, das wusste er ganz genau.
    Das Bild verschwand mit dem ersten Stiefeltritt in seinen Rücken.
    „Padraic!“, schrie Euan, solange er sich noch an die Vision erinnerte. „Ich bin es, Euan! Wir kennen uns!“
    Aber die Jäger hörten nur ein melodisches Knurren, als wolle der Wolf ihnen etwas sagen. „Der hier ist geschwätziger als die anderen“, höhnte Padraic und packte Euan an der Kehle, bevor dieser nach ihm schnappen konnte. Er schüttelte ihn heftig. „Mal sehen, wie schön er singt, wenn wir ihn neben seinen Vettern an den Hinterläufen aufknüpfen.“
    Euan verstand die Worte nicht, aber Padraics Tonfall verriet ihm, dass er bald wie die Wölfe enden würde, die an dem Galgen neben der Bucht gebaumelt hatten.
    Ohne ein weiteres Wort hievten die Männer Euan auf den Rücken eines Pferdes und ritten, so schnell sie konnten, den Waldweg zurück. Die Bäume blickten leidvoll auf sie hinab, da ihnen offenbar nie jemand zuhören wollte. Euan nagte an den Lederbändern des Netzes, aber es war zu eng gewebt, um nachzugeben. Nach kurzer Zeit erhob sich die Burg vor ihnen, und das schwarze Tor öffnete sich mit einem lauten Ächzen wie ein gähnender Schlund. Als Euan das Klappern der Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster hörte, stiegen noch mehr Erinnerungen in ihm auf. Die Scham in den Augen seines Vaters, als Ned die Männer gegen den Feind geführt hatte. Seine triumphale Rückkehr. Neds Begräbnis. Und die zahllosen Frauen, die er in den Mauern dieser Burg geschändet und manchmal aus reiner Mordlust erwürgt hatte. Im Burghof roch es nach frisch getrocknetem Blut, als sei Morden hier an der Tagesordnung. Euan öffnete die Augen und sah eine Reihe Galgen, an denen bereits Wölfe an den Hinterläufen aufgehängt waren. Sie zappelten und wimmerten, denn sie ahnten, welche Schmerzen sie erwarteten. Auch er zappelte und heulte, aber die Männer lachten nur lauthals, und am lautesten lachten die Wäscherinnen.
    „Sing uns ein Lied, kleiner Wolf“, spottete Padraic und zerrte Euan am Schwanz aus dem Netz. Er bohrte die Pfoten in den Boden, rutschte aber auf den glitschigen Steinen aus und wurde von den Frauen mit Steinen beworfen und mit Stöcken geschlagen.
    „Häutet ihn bei lebendigem Leib!“, schrie ein kleiner Junge laut.
    Zum ersten Mal in seinem Leben bereute Euan, dass er jemals Lust am Morden verspürt hatte. Er erinnerte sich an sein Leben als Prinz, der sich daran ergötzt hatte, wie sich die Augen junger Mädchen weiteten, wenn er die Daumen an ihre Kehle legte und zusah, wie langsam das Licht in ihnen erlosch. Er heulte sein Flehen um Vergebung zu einem Gott empor, den er nicht mehr benennen konnte, während ein Wolf nach dem anderen zu Tode geprügelt wurde. Dann zerrte man ihn auf das Podest und band ihm Lederschnüre um die Pfoten.
    „Gebt ihn mir.“
    Die Kehllaute einer Frau, und diesmal verstand Euan die Worte. Die Stimme war sanft, strahlte aber größere Autorität aus als Padraics rohe Kraft. Der Chor blutgieriger Stimmen verstummte. Krieger, Jäger und Burgfräulein machten Platz für die junge Frau, die sich einen Weg durch die Menge bahnte. Sie trug ein knöchellanges grünes Kleid mit einem goldenen Gürtel, und ihr Haar wurde im Nacken von einer Spange gehalten, die einen Wolfskopf darstellte.
    Sie hatte blaue Augen und einen frischen Kratzer am Kinn, als hätte sie sich an Dornen verletzt.
    Es war die Frau aus dem Wald.
    „Diese Männer erweisen nur der Familie Eurer Hoheit die Ehre und-“
    „Und das sollen sie auch weiterhin tun, Jägermeister. Aber diesem Wolf werdet ihr kein Haar krümmen, ist das klar?“
    Sie lächelte und ließ keinen Zweifel daran, wie schrecklich der Zorn hinter ihrer schönen Stirn sein würde, sollte man sich ihr widersetzen.
    Padraic trat einen Schritt zurück und verbeugte sich tief. „Ihr dürft natürlich tun, was Euch beliebt, Hoheit.“
    „Ich bin entzückt, das zu hören,

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