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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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einfach wahnsinnig. Und auf seine Frage gab es nur eine Antwort. Ich schenkte ihm sogar ein schwaches Lächeln, als ich meine Tasche nahm und aufstand.
    »Kennst du den Strand in Richtung Eyeries?«, fragte ich. Er hatte dort letzte Woche mit ein paar Jungs aus Sacred Heart ein Wettangeln veranstaltet, wie ich wusste. Die Jungs hatten seitdem einen neuen Helden und nur noch wirre Geschichten im Kopf. »Du musst kurz vor der Stadt nach links abbiegen.«
    »Den finde ich sicher.« Er sah sogar erleichtert aus, weil ich Ja sagte. Gott, sogar mir rang seine Technik Bewunderung ab. Jede Hausfrau wäre sofort darauf reingefallen.
    »Um halb zwei bei dem alten Steinpier«, sagte ich, schnappte mein Glas und leerte es in einem Zug. Hoffentlich sah er nicht, wie sehr meine Hand zitterte. Aber er war so eitel, dass er es wahrscheinlich als Vorfreude interpretiert hätte. »Ich trinke Sauvignon Blanc. Gekühlt.«
    Ich verließ McSorley's, ohne seinen Schlusssatz abzuwarten, denn ich musste nichts mehr hören. Er würde dort sein, in der Hand eine eiskalte Flasche Wein und in der Hosentasche ein paar Handschuhe für die Drecksarbeit. Das hätte ich auf den apfelgroßen Bluterguss an Aoifes Oberschenkel geschworen.
    Aber auch ich würde vorbereitet sein.
    Es ist seltsam, aber wenn ich zurückdenke, war das die letzte
    Nacht, in der ich einen Tropfen Alkohol angerührt habe. Seither schmeckt er mir einfach nicht mehr.
    Ich kotzte beinahe vor Aufregung auf dem Rückweg zu meinen Schwestern. Außerdem musste ich ständig Touristen ausweichen, die auf der falschen Straßenseite fuhren. Das Geräusch der Wellen, die sich an den Klippen brachen, dröhnte mir in den Ohren, bis ich in der blauen Dunkelheit vor mir warme goldene Lichtpunkte sah.
    »Bald«, sagte ich zu mir und trat kräftig in die Pedale.
    Du merkst sicher, dass ich ein bisschen zögere, dir den Rest zu erzählen, und fragst dich wahrscheinlich, warum, stimmt's? Nicht aus Scham oder Ekel über unsere Tat, so viel ist sicher. Nein, sondern weil das Ganze, ehrlich gesagt, irgendwie enttäuschend war. Ich hatte alles so schön geplant und hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht, weil ich immer wieder jeden Schritt durchgegangen war. Ich lag neben meiner Zwillingsschwester, hielt ihre Hand, spürte ihren Pulsschlag und sah vor meinem inneren Auge Jims letztes Lächeln vor mir.
    Aber leider kam dann alles ein bisschen anders.
    Am nächsten Tag war ich mindestens zwanzig Minuten zu früh an der verabredeten Stelle. Und was sah ich als Erstes, als ich um die gefährliche letzte Kurve auf der Straße zum Strand bog? Ein glänzendes, rotes Motorrad, das auf dem Pier parkte. Ich fluchte halblaut, während ich Aoifes Benz durch den nassen Sand steuerte. Ich Idiot hatte nicht damit gerechnet, dass er vor mir da sein könnte. Jetzt war es unmöglich geworden, einen anständigen Hinterhalt aufzubauen. Von dem Mistkerl keine Spur, nur sein einsames Motorrad stemmte sich gegen den Wind und die kreischenden Fischreiher. Es war, als sei der seanchai, der meine Schwester gefoltert hatte, bereits tot oder in den Urwäldern aus seinen eigenen Märchen verschwunden. Ein paar Bäume, deren Zweige über das Wasser hingen, raschelten im Wind, als wollten sie mich warnen. Aber ihre Stimmen waren zu leise. Ich hatte mir so lange und so sehnlich gewünscht, Jim unter die Erde zu bringen, dass ich beinahe geglaubt hätte, Gott habe sich erbarmt und mir die Arbeit abgenommen.
    »Es ist leider nur Chablis. Den anderen gab es nicht«, sagte seine Stimme ganz dicht neben mir.
    Jim hatte sich für den Anlass in ein weißes Leinenjackett von Harold geworfen und trug sein Hemd offen, als wären wir heimliche Liebende aus einem miesen Adelsroman. Er saß im Schneidersitz hinter einer Stelle, an der ihn das hohe Gras verdeckte. Ein Buddha der Zerstörung. Schon im Auto hatte ich das gebratene Mangohühnchen riechen können, und ich hasste ihn dafür, dass er auch noch gut kochen konnte. Er hatte nicht nur einen Picknickkorb mitgebracht und eine karierte Decke ausgebreitet, die einmal meiner Mutter gehört hatte, sondern auch die guten Kristallgläser, die Moira nie benutzte, weil sie so empfindlich waren. Seine schlanken Finger streckten mir ein Glas eiskalten Weißwein entgegen.
    »Sehr gründlich hast du wohl nicht gesucht«, sagte ich und ging langsam zu ihm. Meine Miene hielt ich neutral, sie zeigte nur die Andeutung eines Lächelns. Ein winziger Hinweis darauf, dass ich ihm möglicherweise verzeihen

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