Darling
Lichtschalter in der dunklen Wohnung. Auf sein Klingeln hatte sie nicht geöffnet. Vielleicht war sie schon ins Bett gegangen? Egal, er benötigte dringend frische Wäsche, denn Enzos Hemden waren definitiv einen Tick zu eng für seinen Oberkörper. Das schwarze taillierte Hemd, das er heute Morgen aus dem Stapel ungebügelter Wäsche in Enzos Badezimmer gefischt hatte, war einfach zu prollig. Schwarz war nicht seine Farbe. Zu seinen bernsteinfarbenen Augen passten besser warme, erdfarbene Töne.
„Annika?“
Hell flammte das Licht im Flur auf. Alles blieb still. Annika war anscheinend unterwegs. Dann würde er eben warten.
Ohne im Wohnzimmer das Licht anzuschalten, ging er schnurstracks zum PC. Das war eine ausgezeichnete Gelegenheit, in Ruhe seine E-Mails zu checken. Und dann würde er duschen und mit einem Bier vor dem Fernseher warten, bis sie nach Hause käme.
Als er sich vom Rechner erhob, sah er den dunklen, braunen Fleck auf den Holzdielen. Er bückte sich und fuhr vorsichtig mit dem Finger darüber. Im Radius des blau schimmernden Monitors konnte man nicht wirklich erkennen, was das war. Neugierig geworden tastete er nach dem Schalter am Balkonfenster. Als das Licht aufflammte, wurde Adrian blass.
Die Spuren auf dem Dielenboden waren Blut, das spürte er sofort. Blut von Annika? Sein Herz raste. Was war hier passiert? Polizei!, dachte er. Für einen Moment fühlte er sich wie betäubt. Annika ist tot! Oder verschleppt?
Die Blutspur erstreckte sich bis ins Bad. Dort lag ihr blutverschmiertes T-Shirt auf den weißen Fliesen. Vorsichtig hob er das klamme Hemd hoch, doch als ihm der Geruch des geronnenen Blutes in die Nase stieg, ließ er es vor Ekel sofort wieder fallen.
Panik befiel ihn. Wo war Annika? Er stürzte in den Flur. Ihre Jacke war weg. Ebenso ihre Handtasche. Adrians Herz pochte bis zum Hals.
Du musst jetzt einen kühlen Kopf bewahren, hämmerte es in ihm. Er müsste jetzt die Polizei anrufen und alles erzählen, was seit Montagnacht geschehen war. Adrian fühlte sich auf einmal unendlich schuldig. Zum einen an Karls Tod. Und nun vielleicht auch noch an einem Verbrechen an seiner Freundin. Blankes Entsetzen bahnte sich einen Weg durch seinen Kopf.
In dem Moment fiel sein Blick auf Annikas Samsung, das auf dem Sofa lag. Sie würde niemals ohne Handy aus der Wohnung gehen, da war er sich hundertprozentig sicher. Etwas Grauenhaftes musste passiert sein.
Clara! Hatte sie ihn unter einem Vorwand ins Krematorium gelockt, damit Annika entführt werden konnte? So wie die Wohnung aussah, hatte sie sich anscheinend erbittert gewehrt. Deine Freundin ist wie ein Schwein abgestochen worden, hämmerte es in seinem Kopf. Adrian zitterte am ganzen Körper. Keine Chance, die Situation in Ruhe zu analysieren. Und er war irgendwie schuld. Er ganz allein.
In dem Moment klingelte es an der Tür. Wie betäubt drückte Adrian auf den Knopf der Sprechanlage.
„Ja?“
„Herr Baumann? Hier ist Stefan Weber von der Kripo Frankfurt. Ich muss mit Ihnen sprechen.“
Panik befiel Adrian. Hatte er gegenüber dem Kommissar eine plausible Erklärung für das viele Blut in der Wohnung? Wer würde ihm jetzt glauben, dass das hier ein großes Missverständnis war? Und wo war Annika?
Adrians Puls raste. Raus, hämmerte sein Instinkt, erst mal raus aus dieser Mausefalle! Er würde Annika auf eigene Faust suchen. Das war die einzig vernünftige Lösung, um diese fürchterlich verfahrene Situation in den Griff zu bekommen.
Geistesgegenwärtig schnappte er seine Jacke und flüchtete in den Flur. Das Display des Aufzugs zeigte den zweiten Stock an. Mit großen Sätzen hechtete Adrian die Stufen nach unten.
Er überlegte, ob er das Taxi nehmen sollte. Den Wagen würde die Polizei sofort zur Fahndung ausschreiben. Es war klüger, mit der S-Bahn nach Griesheim zu fahren, um Clara zur Rede zu stellen. Und im Frankfurter Berufsverkehr wahrscheinlich auch am sichersten.
Als er über die Flößerbrücke sprintete, spiegelte sich die hell erleuchtete Skyline im Main. Nieselregen setzte ein. Adrian hustete. Kette rauchen und Kurzstreckensprints vertrugen sich nicht. Apropos Zigaretten. Er brauchte dringend eine Schachtel Marlboro, sonst würde sein Nervenkostüm dem Rest des Tages nicht standhalten.
Am „Sudfass“ hing ein Zigarettenautomat. Hektisch wühlte Adrian in seiner Jacke nach Kleingeld. Wo war nur die verdammte Scheckkarte für die Authentifizierung? Entnervt hieb er mit der Faust gegen den
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