Darling
Vielleicht hat er sich ja bei ihr gemeldet. Magst du mitkommen?“
Edith schüttelte den Kopf. Der Schreibtisch quoll über mit dicken Akten und unbearbeiteten Laufmappen.
„Wolltest du heute Abend nicht mal früher nach Hause zu deinem Kind?“
Die Stimme der Kommissarin klang fürsorglich.
Stefan zuckte mit den Achseln. „Adrian Baumanns Freundin hat sich heute den ganzen Tag weder über Festnetz noch auf ihrem Handy gemeldet, obwohl ich es mindestens ein Dutzend Mal versucht habe. Ich fahr’ da jetzt mal vorbei. Und danach mache ich Feierabend, okay?“
Edith nickte zustimmend.
„Und Sie?“, fragte sie die Sekretärin.
„Bin auch gleich weg. Ich geh mit den Kollegen von der Wirtschaftskriminalität zum Bowling am Henninger Turm“, freute sich Silke Müller.
Edith blickte missmutig aus den hohen Frontscheiben auf die Adickesallee. Anscheinend hatten alle ein Zuhause oder ein Privatleben. Nur sie hatte mal wieder nur das Präsidium. Und ein paar verwelkte Topfpflanzen auf dem Fenstersims hinter ihrem Monitor.
48
Adrian ärgerte sich über sein schlechtes Gedächtnis. Aber er konnte sich partout keine Handynummern merken. Normalerweise war ihm das auch ziemlich egal. Dann würde er Annika eben unangemeldet überraschen und sich für seine überzogene Reaktion vor zwei Tagen entschuldigen. Er würde sie einfach in den Arm nehmen und küssen. Das würde die Geister der vergangenen Tage aus seinem Kopf vertreiben – und hoffentlich auch aus ihrem.
Er war fest entschlossen, niemandem zu erzählen, was er die vergangenen achtundvierzig Stunden erlebt hatte. Weder Annika. Noch Enzo. Noch der Polizei.
Was war im Prinzip schon passiert? Er hatte ja eigentlich mit allem nichts zu tun. Wobei ihn der Gedanke an Karl Blum schmerzte. Der alte Kauz würde ihm fehlen.
Karls Tod war vielleicht sogar der Anlass, ernsthaft über einen vernünftigen Job nachzudenken. Immerhin war er fast dreißig. Und ewig Taxi zu fahren war nicht wirklich eine hinreichende berufliche Perspektive, das war ihm durchaus bewusst. Trotzdem fühlte er, dass er den Job vermissen würde.
Tief kräuselten sich kleine Wellen auf dem Main. Frankfurt wurde nachts nicht wirklich dunkel. Wobei die blaue Neonbeleuchtung vom Union-Investment-Hochhaus wie eine gigantische Kitsch-Bombe auf ihn wirkte. Irgendwann hatte das Planungsdezernat ein Lichtkonzept für Frankfurt verabschiedet. Trotzdem gab es mitten in der Stadt so einen bombastischen Neonklotz. Das Museumsufer auf der anderen Mainseite wirkte dagegen erheblich eleganter. Wie eine stilvolle Perlenkette reihte sich Museum an Museum am Sachsenhäuser Ufer. Frankfurt hatte trotz seines „American Touch“ durch die Skyline immer noch viele traditionelle Facetten, wie etwa den Ebbelwei-Express. Aber auch der Westhafentower war eine Hommage an das sogenannte „Gerippte“, das typische Glas für den allseits geschätzten Apfelwein.
Wenn er in einigen Minuten Annika in seine Arme schließen würde, war das vielleicht bürgerlich. Aber es versprach auch Sicherheit.
Im Radio langweilte ein sichtlich genervter Moderator die Zuhörer mit einem Call-in-Gewinnspiel. Öde dudelte ein Jingle aus dem Lautsprecher. Wo war eigentlich die House-CD von Enzo?
Mindestens ein Dutzend silberner Scheiben fiel in den Fußraum des Beifahrersitzes, als Adrian das Handschuhfach öffnete. Ohne nachzudenken griff er einfach die erstbeste CD heraus und schob sie lässig in den Schacht. Plötzlich fiel ihm ein, dass er seine Zigaretten in Claras Wohnung vergessen hatte. Vielleicht sollte er einfach mit dem Rauchen aufhören?
„… ich komm’ zu dir, halt’ deine Hand, wir geh’n gemeinsam durch dies wunderbare Land, das ich für dich erfand …“
Adrian stockte der Atem. Die Stimme von Peter Heppner traf ihn mitten ins Herz. Clara, die tote Patricia, das Tattoo der Darling-Produktion. Alles stand mit den ersten Klängen der Musik klar und deutlich vor seinem inneren Auge. Wütend drückte er auf die Stopp-Taste des CD-Players. Dann drehte er die Fensterscheibe herunter und atmete tief durch. Was war an dem Angebot von Clara eigentlich so unmoralisch gewesen, fragte ihn sein Bauch.
Nein, er würde keinen Gedanken mehr an diese Frau verschwenden. Vielleicht würde es ein paar Tage und Nächte mit Annika brauchen. Dann wäre die Geschichte abgehakt und vergessen. Davon war Adrian fest überzeugt, als er sein Taxi am Walter-von-Cronberg-Platz parkte.
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„Annika! Annika?“
Suchend griff Adrian nach dem
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