Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
lauter kleinen Säuren. Wie bei den Kohlenhydraten werden die kleinen Bausteine in Ketten aneinandergereiht. Sie schmecken dadurch anders und heißen am Ende anders, nämlich Protein. Im Dünndarm nehmen die Verdauungsenzyme das Gebilde auseinander, und die Darmwand schnappt sich die wertvollen Einzelteile. Es gibt zwanzig solcher Aminosäuren und unendliche Möglichkeiten, sie zu den verschiedensten Proteinen zu kombinieren. Wir Menschen bauen daraus unter vielem anderen unsere DNA , unser Erbgut, bei jeder neuen Zelle, die wir tagsüber herstellen. Das tun auch alle anderen Lebewesen, egal ob Pflanze oder Tier. Deshalb beinhaltet alles, was man in der Natur essen kann, Protein.
Sich fleischlos ohne Mangelerscheinungen zu ernähren ist dennoch schwieriger, als viele denken: Pflanzen bauen andere Proteine als Tiere, und oft benutzen sie von einer Aminosäure so wenig, dass man ihre Proteine »inkomplett« nennt. Wenn wir dann aus ihren Aminosäuren wiederum eigene Proteine bauen wollen, kommen wir in der Kette nur so weit, bis uns eine Aminosäure ausgeht! Halbfertige Proteine werden dann einfach wieder kaputtgemacht, und wir pinkeln die kleinen Säuren aus oder recyceln sie noch irgendwie. Bohnen fehlt die Aminosäure Methionin , Reis und Weizen (und damit Seitan) fehlt Lysin , Mais fehlen sogar gleich zwei: Lysin und Tryptophan ! Das ist aber nicht der endgültige Triumph der Fleischliebhaber über die fleischlos essenden Menschen: Vegetarier und Veganer müssen einfach nur clever kombinieren.
Bohnen haben zwar kein Methionin , aber dafür eine Riesenmenge Lysin – eine Weizentortilla mit Bohnenpaste und leckerer Füllung liefert alle Aminosäuren, die man für die eigene Proteinherstellung braucht. Wer Ei und Käse isst, kann auch dadurch inkomplette Proteine ausgleichen. In vielen Ländern nehmen die Menschen seit Jahrhunderten ganz intuitiv Mahlzeiten zu sich, die sich so ergänzen: Reis mit Bohnen, Nudeln mit Käse, Fladenbrot mit Humus oder Toast mit Erdnussbutter. Theoretisch muss noch nicht einmal innerhalb von einer Mahlzeit kombiniert werden, es reicht sogar innerhalb eines Tages (oft ist so eine Kombination aber sogar eine ganz hilfreiche Inspiration, wenn man nicht weiß, was man kochen soll). Es gibt auch Pflanzen, die alle wichtigen Aminosäuren in genügenden Mengen beinhalten: Soja und Quinoa oder auch Amaranth, Spirulina-Algen, Buchweizen und Chia-Samen. Tofu hat deshalb schon zu Recht seinen Ruf als Fleischersatz – allerdings mit der Einschränkung, dass mittlerweile immer mehr Menschen darauf allergisch reagieren.
Allergien, Unverträglichkeiten
und Intoleranzen
Eine Theorie zur Entstehung von Allergien setzt bei der Verdauung im Dünndarm an. Wenn wir es nicht schaffen, ein Protein auf die einzelnen Aminosäuren herunterzubrechen, können winzige Stückchen davon übrig bleiben. Normalerweise werden sie dann einfach nicht ins Blut aufgenommen. Die unerwartete Macht liegt aber bei den Unauffälligen – in diesem Fall bei der Lymphe. Solche kleinen Partikel könnten, in einem Fetttröpfchen eingeschlossen, in die Lymphe gelangen und dort von aufmerksamen Immunzellen aufgeschnappt werden. Sie finden dann zum Beispiel einen winzigen Partikel Erdnuss mitten in der Lymphflüssigkeit und greifen den Fremdkörper natürlich an.
Wenn sie ihn das nächste Mal sehen, sind sie schon besser darauf vorbereitet und können stärker attackieren – irgendwann reicht es sogar, die Erdnuss in den Mund zu nehmen, und die informierten Immunzellen vor Ort packen ihre Uzis aus. Die Folge sind immer stärker werdende allergische Reaktionen wie beispielsweise das extreme Anschwellen von Gesicht und Zunge. Eine solche Erklärung passt zu Allergien, die vor allem von Lebensmitteln ausgelöst werden, die fettig und gleichzeitig proteinreich sind, wie Milch, Ei und, allen voran, Erdnüsse. Warum es fast keine Menschen gibt, die auf fettigen Frühstücksspeck allergisch sind, hat einen einfachen Grund. Wir bestehen selbst aus Fleisch und können es in der Regel gut verdauen.
Zöliakie und Glutensensitivität
Die Allergieentwicklung über den Dünndarm kann nicht nur durch Fett ausgelöst werden. Allergene wie Krabben, Pollen oder Gluten sind keine Fettbomben per se, und Menschen, die fettreich essen, haben nicht unbedingt mehr Allergien als andere. Eine weitere Theorie für die Entstehung von Allergien ist folgende: Unsere Darmwand kann für kurze Zeit durchlässiger sein und dadurch tatsächlich zulassen, dass
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