Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
auch Blähungen. Anders als bei der Zöliakie wandern hier aber keine unverdauten Laktose-Partikel durch die Darmwand. Sie rutschen einfach weiter vom Dünndarm in den Dickdarm und ernähren dort gasproduzierende Bakterien. Blähungen und andere Beschwerden sind sozusagen Dankesgrüße von paradiesisch überfütterten Mikroben. Obwohl das sehr unangenehm ist, ist Laktose-Intoleranz bei weitem nicht so ungesund wie eine unerkannte Zöliakie.
Jeder besitzt die Gene für die Verdauung von Laktose. In seltenen Fällen gibt es damit tatsächlich von Geburt an Probleme. Babys können dann keine Muttermilch trinken, ohne davon starke Durchfälle zu bekommen. Bei 75 Prozent aller Menschen schaltet sich das Gen langsam ab, wenn sie älter werden. Wir trinken schließlich nicht mehr nur aus Busen oder Fläschchen. Außerhalb von Westeuropa, Australien und den USA ist man eine Rarität, wenn man als Erwachsener noch Milch verträgt. Auch in unseren Breitengraden häufen sich mittlerweile die laktose-freien Supermarktprodukte, denn aktuellen Schätzungen zufolge ist jeder fünfte Bundesbürger laktose-intolerant. Je älter man ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, Milchzucker nicht mehr aufspalten zu können – oft kommt man aber mit sechzig Jahren nicht auf den Gedanken, der Blähbauch oder das bisschen Durchfall käme vom gewohnten Glas Milch oder der köstlichen Sahnesoße.
Es ist allerdings ein Irrglaube zu meinen, man dürfe jetzt gar keine Milch mehr zu sich nehmen! In den meisten Fällen hat man eben noch Laktose spaltende Enzyme im Darm, aber ihre Aktivität ist einfach etwas heruntergeschraubt. Sagen wir auf 10 bis 15 Prozent von dem, was sie früher mal konnten. Wenn man also feststellt, dass man ohne ein Glas Milch ein angenehmeres Bauchgefühl hat, kann man in Ruhe für sich herausfinden, wie viel noch geht und ab wann die Probleme kommen. Ein Stück Käse oder Sahne im Kaffee sind dann oft völlig in Ordnung, genauso wie Milchcremes in Süßigkeiten.
Ganz ähnlich verhält es sich bei der häufigsten Nahrungsmittelintoleranz in Deutschland. Jeder dritte Deutsche hat Probleme mit dem Fruchtzucker Fruktose. Daher rührt der Ballspiel-Klassiker »Kirschen essen«: »Kirschen gegessen, Wasser getrunken, Bauchweh bekommen …« Auch bei der Fruktose-Intoleranz gibt es starke, angeborene Unverträglichkeiten, die Betroffenen reagieren schon auf geringste Mengen mit Verdauungsproblemen. Der Großteil der Menschen hat aber eher ein Problem mit zu viel Fruktose. Die meisten wissen wenig darüber, und beim Einkaufen klingt »mit Fruchtzucker« gesünder als »mit Zucker«. Deshalb süßen Lebensmittelhersteller gerne mit purer Fruktose und tragen so zusätzlich dazu bei, dass unser Essen mehr Fruktose enthält als jemals zuvor.
Ein Apfel am Tag wäre für viele kein Problem – wenn nicht auch schon das Ketchup der Pommes, der gesüßte Fruchtjoghurt und der Eintopf aus der Dose Fruktose beinhalten würden. Einige Tomaten werden extra so gezüchtet, dass sie besonders viel Fruchtsüße enthalten. Darüber hinaus haben wir heute ein Fruchtangebot, das es ohne Globalisierung und Flugzeugtransport nirgendwo geben könnte. Ananas aus tropischen Gebieten liegen im Winter neben frischen Erdbeeren aus holländischen Gewächshäusern und ein paar getrockneten Feigen aus Marokko. Was wir also als Nahrungsmittelintoleranz einsortieren, ist womöglich nur die Reaktion eines völlig normalen Körpers, der sich innerhalb von einer Generation auf eine Ernährung umstellen muss, die er Millionen Jahre zuvor so nicht hatte.
Der Mechanismus, der sich hinter der Fruktose-Intoleranz verbirgt, ist noch mal anders als bei Gluten oder Laktose. Fruktose ist schon ein einzelnes Zuckermolekül und muss überhaupt nicht mehr gespalten, sondern nur noch über die Darmwand transportiert werden. Menschen mit einer angeborenen Unverträglichkeit haben wenige Transportkanäle (sogenannte GLUT - 5 -Transporter) in der Darmwand. Wenn sie eine kleine Menge Fruchtzucker zu sich nehmen – zum Beispiel eine Birne – , sind die Transportkanäle überlastet, und der Birnenzucker wandert, wie bei der Laktose-Intoleranz, zur Darmflora im Dickdarm.
Tritt die Intoleranz erst später im Leben auf, ist die Sache nicht so klar, denn auch Menschen ohne Beschwerden schicken einen Teil der Fruktose unverdaut zum Dickdarm (vor allem, wenn es sehr viel ist). Es kann zum Beispiel sein, dass die Darmflora ungeschickt zusammengesetzt ist. Wer dann eine
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