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Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Titel: Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giulia Enders
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Wir bekommen Krebs, beginnen zu schimmeln, werden von Bakterien angeknabbert oder von Viren infiziert. Jeden Tag wird uns mehrere Male das Leben gerettet. Seltsam wachsende Zellen werden abgetötet, Pilzsporen werden eliminiert, Bakterien zerlöchert und Viren durchgeschnitten. Diesen angenehmen Service erledigt unser Immunsystem mit sehr vielen kleinen Zellen. Es verfügt über Experten zur Erkennung von Fremdem, über Auftragskiller, Hutmacher und Streitschlichter. Sie alle arbeiten Hand in Hand und machen das bemerkenswert gut.
    Der größte Teil unseres Immunsystems (etwa 80 Prozent) sitzt im Darm. Und das aus gutem Grund. Hier steht nämlich die Hauptbühne für dieses bakterielle Woodstock, und das sollte man unbedingt mal gesehen haben als Immunsystem. Die Bakterien sitzen in einem abgesteckten Reservoir – der Darmschleimhaut – und rücken nicht bedrohlich nahe an unsere Zellen. Das Immunsystem kann hier mit ihnen spielen, ohne dass sie gefährlich für den Körper werden. So können unsere Abwehrzellen viele neue Arten kennenlernen.
    Trifft eine Immunzelle zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb des Darms auf ein bekanntes Bakterium, kann sie schneller reagieren. Das Immunsystem muss im Darm wahnsinnig aufmerksam sein – es muss dauernd seinen Verteidigungsinstinkt unterdrücken, um die vielen Bakterien dort am Leben zu lassen. Gleichzeitig muss es zu gefährliche Wesen in der Masse erkennen und aussortieren. Wenn wir zu jedem unserer Darmbakterien »Hi« sagen würden, kämen wir mit etwa 3 Millionen Jahren ganz gut hin. Unser Immunsystem sagt nicht nur »Hi«, es sagt eben auch noch »Du bist ganz okay« oder »Du gefällst mir tot besser«.
    Außerdem – und das klingt im ersten Moment vielleicht etwas befremdlich – muss es zwischen den Bakterienzellen und den eigenen, menschlichen Zellen unterscheiden können. Das ist nicht immer ganz einfach. Auf der Oberfläche mancher Bakterien befinden sich nämlich Strukturen, die denen unserer kleinen Körperzellen ähneln. Bei Bakterien, die Scharlach-Angina verursachen, sollte man deshalb nicht zu lange mit Antibiotika warten. Wird die Krankheit nicht rechtzeitig bekämpft, kann das verwirrte Immunsystem versehentlich Gelenke oder andere Organe misstrauisch angreifen. Es hält dann beispielsweise unser Knie für einen miesen Halsweh-Verursacher, der sich da unten versteckt hat. Das passiert nur in seltenen Fällen – aber es kann passieren.
    Einen ähnlichen Effekt haben Wissenschaftler bei dem oft im Jugendalter auftretenden Diabetes beobachtet. Hier zerstört das Immunsystem die eigenen Insulin produzierenden Zellen. Eine mögliche Ursache könnte ein Kommunikationsproblem mit unseren Darmbakterien sein. Vielleicht bilden sie schlecht aus, oder das Immunsystem versteht sie einfach nur falsch.
    Eigentlich hat der Körper gegen solche Kommunikationsprobleme und Verwechslungsunfälle ein sehr rigoroses System eingerichtet. Bevor eine Immunzelle ins Blut gelassen wird, muss sie das härteste Bootcamp absolvieren, das für Zellen existiert. Sie muss unter anderem einen langen Weg zurücklegen, auf dem ihr dauernd körpereigene Strukturen präsentiert werden. Wenn die Immunzelle sich nicht ganz sicher ist, ob das Präsentierte körpereigen oder -fremd ist, bleibt sie stehen und pikst kurz mal mit dem Finger daran herum. Das war dann eine fatale Fehlentscheidung. Diese Immunzelle wird niemals im Blut ankommen.
    Immunzellen werden also schon im Bootcamp aussortiert, wenn sie eigenes Gewebe angreifen. In ihrem Trainingslager im Darm lernen sie, tolerant gegenüber Fremden beziehungsweise besser auf Fremdes vorbereitet zu sein. Dieses System funktioniert ziemlich gut, und meistens gibt es keine Zwischenfälle.
    Eine Übung ist jedoch besonders knifflig: Was tun, wenn fremde Dinge das Immunsystem an Bakterien erinnern – obwohl es keine Bakterien sind? Rote Blutkörperchen zum Beispiel tragen auf ihrer Oberfläche bakterienähnliche Proteine. Eigentlich würde unser Immunsystem unser Blut angreifen, wenn es nicht im Bootcamp gelernt hätte, dass unser eigenes Blut nicht angetastet werden darf. Haben unsere Blutkörperchen selbst Blutgruppenmerkmal A auf der Oberfläche, tolerieren wir auch Blut von fremden Menschen der Gruppe A. Bei einem Motorradunfall oder einer Geburt mit viel Blutverlust kann es schon mal nötig sein, Blutspenden in die eigenen Adern laufen zu lassen.
    Wir können kein Blut von jemandem erhalten, der andere dieser Blutgruppenmerkmale auf der

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