Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
Risikogruppe sind Schwangere: Babys ziehen Biotin wie alte Kühlschränke Strom.
Es ist noch in keiner Studie genau untersucht worden, in welchem Maß unsere Darmbakterien uns Biotin parat stellen. Wir wissen, dass sie es produzieren und bakterienfeindliche Substanzen, wie Antibiotika, zu einem Mangel führen können. Ob jemand mit dem Enterotyp Prevotella eher zu Biotinmangel neigt als ein Bacteroides- Besiedelter, wäre ein ziemlich spannendes Forschungsprojekt. Da wir allerdings erst seit 2011 von Enterotypen wissen, gibt es sicher noch ein paar Fragen, die vorher beantwortet werden wollen.
Bacteroides sind nicht nur dadurch so erfolgreich, dass sie einen guten »Output« haben, sie arbeiten auch Hand in Hand mit anderen zusammen. Es gibt Spezies, die sich allein dadurch im Darm halten, dass sie den Müll von Bacteroides wegräumen. Bacteroides können in einem aufgeräumten Umfeld besser arbeiten, und die Müllabfuhrwesen haben eine sichere Einkommensquelle. Eine Ebene weiter kommen die Komposter – sie verwerten den Müll nicht nur, sie stellen außerdem noch Produkte daraus her, die Bacteroides wieder benutzen können. Bei einigen Stoffwechselwegen schlüpfen Bacteroides aber auch selbst in die Rolle des Komposters: Brauchen sie mal ein Kohlenstoffatom, um irgendetwas umzubauen, greifen sie einfach in die Luft im Darm und holen es sich. Dabei werden sie immer fündig: Bei unserem Stoffwechsel fällt Kohlenstoff als Abfall an.
Prevotella
Die Prevotella -Familie ist oft das Gegenteil von den Bacteroides. Studien zufolge kommt sie häufiger bei Vegetariern vor, aber auch bei Menschen, die es mit dem Fleischkonsum nicht übertreiben, oder auch bei absoluten Fleischliebhabern. Was wir essen ist eben nicht der einzige Faktor, der bei der Besiedlung unseres Darms eine Rolle spielt. Dazu gleich mehr.
Auch die Prevotella haben bakterielle Kollegen, mit denen sie besonders gerne arbeiten: die Desulfovibrionales . Die haben oft lange Propellerfäden, mit denen sie sich fortbewegen können, und sind ebenso wie Prevotella gut darin, unsere Schleimhaut nach brauchbaren Proteinen zu durchforsten. Diese Proteine können sie dann essen oder wer weiß was damit bauen. Beim Arbeiten der Prevotella fallen Schwefelverbindungen an. Den Geruch kennt man von gekochten Eiern. Würden die Desulfovibrionales nicht umherpropellern und schnell aufsammeln, was anfällt, stünden Prevotella bald irritiert in ihrem eigenen Schwefelsumpf herum. Ungesund ist dieses Gas übrigens nicht. Unsere Nase mag es nur vorsichtshalber nicht, weil es in tausendfacher Konzentration langsam gefährlich würde …
Ebenfalls schwefelhaltig und von einem interessanten Geruch begleitet ist das typische Vitamin dieses Enterotyps : Thiamin , oder auch Vitamin B 1 , eines der bekanntesten und wichtigsten Vitamine überhaupt. Unser Hirn braucht es nicht nur, um die Nervenzellen gut zu ernähren, sondern auch, um sie von außen mit einem elektrisch-isolierenden Fettmantel einzuhüllen. Thiamin- Mangel ist deshalb eine der möglichen Ursachen für zittrige Muskeln und Vergesslichkeit.
Menschen mit einem sehr starken Vitamin-B 1 -Mangel bekommen die Krankheit Beriberi. Sie wurde im asiatischen Raum schon 500 n. Chr. beschrieben. Beriberi heißt übersetzt »ich kann nicht, ich kann nicht« – gemeint ist, dass die Betroffenen aufgrund der geschädigten Nerven und des Muskelschwunds nicht mehr gerade laufen können. Inzwischen weiß man, dass polierter Reis kein Vitamin B 1 enthält; bei sehr einseitiger Ernährung kann Vitamin-B 1 -Mangel innerhalb von wenigen Wochen zu ersten Symptomen führen.
Außer den Nerven- und Gedächtnisstörungen kann man bei einem weniger gravierenden Mangel leichter gereizt sein, häufig Kopfschmerzen oder Konzentrationsprobleme haben; im fortgeschrittenen Fall kann man zu Ödemen und Herzschwäche neigen. Aber auch hier gilt: Diese Probleme können sehr viele Ursachen haben. Sie sind eher bedenklich, wenn sie auffallend oft oder stark vorkommen, und sie beruhen selten ausschließlich auf Vitaminmangel.
Mangelsymptome helfen eher zu verstehen, woran die Vitamine generell beteiligt sind. Wer sich nicht ausschließlich von poliertem Reis oder Alkohol ernährt, ist in den allermeisten Fällen ganz gut versorgt. Dass unsere Darmbakterien uns bei unserer Versorgung unterstützen können, macht sie zu viel mehr als nur einem Haufen herumpropellernder Schwefelpupser – und das ist das Spannende.
Ruminococcus
An dieser Familie scheiden
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