Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
nach heftigen Erlebnissen wieder stabil zusammenzurappeln, nennt man beim Darm genauso wie in der Psychologie »Resilienz«.
Die Untersuchungen zu den langfristigen Folgen kann man noch immer beinahe an einer Hand abzählen – und das, obwohl wir Antibiotika seit mehr als fünfzig Jahren nutzen. Der Grund ist die Technik: Die nötigen Geräte für solche Studien sind erst ein paar Jahre alt. Der einzige Effekt, der mittlerweile sicher nachgewiesen ist, ist die Resistenzbildung. Selbst zwei Jahre nach der Einnahme von Antibiotika sitzen im Darm noch üble Bakterien, die ihren Ururur-…-Urenkeln vom Krieg erzählen.
Sie haben dem Antibiotikum getrotzt und überlebt. Und das aus gutem Grund. Sie entwickelten damals Resistenztechniken, indem sie zum Beispiel kleine Pumpen in ihre Zellwände einbauten. Damit pumpten sie das Antibiotikum aus sich heraus wie die Feuerwehr das Wasser aus einem überfluteten Keller. Manche Bakterien verkleiden sich, so dass Antibiotika ihre Wände nicht erkennen und damit nicht mehr durchlöchern können. Wieder andere nutzen ihre Fähigkeit, Dinge aufzuspalten – sie bauen sich Werkzeuge, um auch Antibiotika zerlegen zu können.
Das Ding ist: Antibiotika töten selten alle Bakterien. Sie töten gewisse Gemeinschaften – je nachdem, welches Gift sie benutzen. Es gibt immer auch Bakterien, die überleben oder zu erfahrenen Kämpfern werden. Wird man mal sehr krank, können genau diese Kämpfer Probleme machen: Je mehr Resistenzen sie entwickelt haben, desto schwerer bekommt man sie dann noch mit Antibiotika in den Griff.
Jedes Jahr sterben in Europa viele tausend Menschen durch Bakterien, die so viele Resistenzen haben, dass kein Medikament mehr wirkt. Ist das Immunsystem nach einer Operation geschwächt, oder sind die resistenten Keime nach langen Antibiotika-Therapien in absoluter Überzahl, dann wird es gefährlich. Neue Medikamente werden kaum entwickelt, denn dieser Geschäftsbereich ist schlichtweg kein richtiger Geldbringer für Pharmafirmen.
Wer sich aus unnötigen Antibiotika-Darmkriegen raushalten möchte, ist mit diesen vier Punkten gut beraten:
1. Nicht unnötig Antibiotika einnehmen. Und wenn man sie mal nehmen muss, bitte lange genug. Lange genug deshalb, weil nicht so geschickte Resistenzkämpfer irgendwann aufgeben und plattgemacht werden können. So bleiben am Ende nur die Bakterien übrig, die sowieso übriggeblieben wären. Dem Rest aber hat man wenigstens den Garaus gemacht.
2. Bio-Fleisch. Die Resistenzen sind von Land zu Land unterschiedlich. Schockierend oft stehen sie in engem Zusammenhang mit den Antibiotika aus der Tierhaltung großer Schlachtbetriebe. In Ländern wie Indien oder Spanien wird praktisch gar nicht kontrolliert, wie viele Antibiotika die Tiere bekommen. Damit züchten sie riesige Resistenzzoos in den Därmen heran. Dort gibt es dann auch bei Menschen deutlich mehr unbehandelbare Infektionen als in anderen Regionen. In Deutschland haben wir wenigstens Regeln, aber selbst diese sind lächerlich ungenau. So verdienen viele Tierärzte ihr Geld mit semilegalem »Antibiotika-Handel«.
Erst 2006 hat die EU verboten, Antibiotika als »Leistungssteigerer« in Tierfutter zu mischen. Leistungssteigerung bedeutet hier unter anderem: die Leistung eines Tiers, in einem dreckig-überfüllten Stall nicht an Infektionen zu sterben. Diese Leistung steigert man super mit Antibiotika. Tiere aus Bio-Ställen dürfen nur festgelegte Mengen Antibiotika bekommen – werden diese überschritten, verkauft man die Ware als »normales« Fleisch, ohne Biosiegel. Wenn möglich, sollte man lieber ein paar Euro mehr ausgeben – gegen Resistenzzoos und für den Frieden im Darm. Man wird es nicht direkt merken, aber investiert in eine sicherere Zukunft.
3. Obst und Gemüse gut waschen. Das hat auch mit der Tierhaltung zu tun. Denn der Kot unserer Tiere wird gerne als Dünger benutzt. Die Gülle kommt aufs Feld. Obst und Gemüse werden in Deutschland nicht auf Antibiotika-Rückstände getestet – auf resistente Darmbakterien schon gar nicht. In Milch, bei Eiern und Fleisch werden zumindest bestimmte Grenzwerte kontrolliert. Also lieber einmal zu viel waschen als einmal zu wenig. Schon geringe Mengen Antibiotika können bei Bakterien Resistenzen fördern.
4. Augen auf im Urlaub. Jeder vierte Urlauber bringt hochresistente Keime mit nach Hause. Die meisten verschwinden nach ein paar Monaten wieder, manche lauern aber auch länger bei uns herum. Besondere Vorsicht ist in
Weitere Kostenlose Bücher