Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
Kinder entbinden sollten. Der Hintergedanke war, die Ölreserven dort später legitim anzapfen zu können, wenn man von »Dort-Geborenen« die rechtliche Erlaubnis dazu bekam. Das Ergebnis: Die Babys starben – spätestens auf dem Weg zurück. Der Nordpol ist so kalt und keimfrei, dass sie schlichtweg nicht genug Bakterien abbekamen. Schon die normal warmen Bedingungen und Keime auf dem Rückweg brachten die Säuglinge um.
Helfende Bakterien sind wichtige Teile unseres Lebens und immer um und auf uns. Unsere Vorfahren wussten das nicht, aber machten vieles intuitiv richtig: Sie schützten ihr Essen vor schlechten Fäulnisbakterien, indem sie es den guten Bakterien anvertrauten. Zum Beispiel, indem sie es mit deren Hilfe haltbar machten. In jeder Kultur der Welt gibt es traditionelle Gerichte, die durch hilfreiche Mikroben entstehen. In Deutschland sind das zum Beispiel Sauerkraut, eingelegte Gurken oder Sauerteigbrot. Crème fraîche aus Frankreich, löchriger Käse aus der Schweiz, Salami und Oliven aus Italien, Ayran aus der Türkei – all das gäbe es ohne Mikroben nicht.
Aus Asien kommen unfassbar viele solcher Speisen: Sojasauce, Kombucha-Getränke, Miso-Suppe, das koreanische Kimchi, Lassi aus Indien sowie Fufu aus Afrika … die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Diese Nahrungsmittel werden von Bakterien bearbeitet, man nennt sie dann »fermentiert«. Dabei fallen oft Säuren an, die den Joghurt oder das Gemüse saurer schmecken lassen. Durch die Säure und die vielen guten Bakterien wird das Essen vor gefährlichen Bakterien geschützt. Fermentation ist die älteste und gesündeste Technik, um Essen haltbar zu machen.
So unterschiedlich wie die vielen Gerichte waren früher auch die dafür zuständigen Bakterienkulturen. In der Sauermilch einer pfälzischen Familie fanden sich andere als im Ayran einer anatolischen Familie. In südlichen Ländern nutzte man Bakterien, die gerne bei hohen Temperaturen arbeiteten, in nordischen Gegenden Bakterien mit Hang zur Zimmertemperatur.
Joghurt, Sauermilch oder andere fermentierte Produkte entstanden durch Zufall. Jemand hatte die Milch draußen stehengelassen, Bakterien gelangten in den Behälter (entweder direkt von der Kuh oder beim Melken aus der Luft), die Milch dickte ein, und fertig war das neue Lebensmittel. War ein besonders leckerer Joghurtkeim in die Milch gehüpft, gab man einen Löffel des daraus entstandenen Joghurts in die nächste Portion Milch und ließ diese Bakterien dadurch noch mehr Joghurt machen. Im Gegensatz zu heutigen Joghurtprodukten war früher allerdings ein großes Team aus vielen verschiedenen Bakterien am Werk – und nicht nur ausgewählte Sorten.
Die Vielfalt der Bakterien in fermentierten Lebensmitteln hat stark abgenommen. Durch die Industrialisierung wurden auch Herstellungsprozesse genormt, mit einzeln ausgewählten Bakterien aus Laboratorien. Milch wird heutzutage nach dem Melken kurz erhitzt, um eventuelle Krankheitserreger abzutöten. Dabei sterben allerdings auch potentielle Joghurtbakterien. Deshalb kann man unsere heutige Supermarktmilch auch nicht einfach stehenlassen, in der Hoffnung, dass daraus irgendwann Joghurt wird.
Viele der früher bakterienreichen Lebensmittel werden heute nicht mehr mit Bakterien, sondern mit Essig haltbar gemacht – zum Beispiel die meisten sauren Gurken. Manches wird mit Bakterien fermentiert, aber danach wieder keimfrei erhitzt wie das meiste Supermarkt-Sauerkraut. Frischkost-Sauerkraut bekommt man oft nur noch in Reformhäusern.
Die Wissenschaftswelt ahnte schon seit Anfang des 20 . Jahrhunderts, wie wichtig gute Bakterien für uns sind. Damals trat Ilja Metchnikoff auf die Joghurt-Bühne. Er war Nobelpreisträger und beobachtete bulgarische Bergbauern. Sie wurden oft über hundert Jahre alt, und das mit auffällig guter Laune. Metchnikoff vermutete, dass ihr Geheimnis in den Lederbeuteln lag, mit denen sie die Milch ihrer Kühe transportierten. Die Bauern legten lange Wegstrecken zurück, so dass die Milch zu Sauermilch oder Joghurt geworden war, bis sie zu Hause ankamen. Er war überzeugt davon, dass die regelmäßige Einnahme dieses Bakterienproduktes dafür verantwortlich war. In seinem Buch The Prolongation of Life (deutsch: Die Verlängerung des Lebens ) vertrat er die Meinung, dass wir durch gute Bakterien länger und besser leben könnten. Ab jetzt waren Bakterien nicht mehr nur anonyme Joghurtbestandteile, sondern auch wichtige Gesundheitsverursacher. Seine Erkenntnis kam
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