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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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er weinend am Totenbett. Dann sieht er, dass die Lebenden ihn mehr brauchen als die Toten. Er fährt heim - und versäumt erneut die Beisetzung eines ihm nahestehenden Menschen. Doch was herzlos erscheint, verrät in Wahrheit seine Abneigung gegen jede Form christlicher Rituale. Nach Annies Tod nimmt er nicht mehr am Gottesdienst teil, bringt die Familie zur Kirche, wartet draußen im Gespräch mit den Dorfpolizisten oder geht spazieren.
    Nach der Rückkehr aus Great Malvern setzt er sich hin und verfasst, nur für Emma und sich, einen sentimentalen Nachruf auf seine Lieblingstochter mit ihren lieben Lippen, ihre Augen strahlten hell, sie lächelte oft … Oh, dass sie jetzt wissen könnte, wie tief und wie zärtlich wir immer noch ihr teures, heiteres Gesicht lieben und stets lieben werden. Am selben Tag spürt Emma erste Wehen. Drei Wochen nach Annies Tod bringt sie Sohn Horace zur Welt, ihr neuntes Kind. Doch Darwin bleibt untröstlich. Wir haben die Freude unseres Hauses und den Trost unseres Alters verloren.
    Er hat sogar für sie gebetet, aber es hat nichts genützt. Wie kann der Allmächtige solche Grausamkeiten verüben? Wo ist das Gute in Gott, wo die Gerechtigkeit? Einem Kollegen in Amerika, dem Botaniker Asa Gray, schreibt er aufgewühlt: Ein unschuldiger und guter Mann steht unter [einem] Baum und wird von [einem] Blitzschlag getötet. Glauben Sie … , dass Gott diesen Mann vorsätzlich umgebracht hat? Viele oder die meisten Personen glauben das; ich kann das nicht und tue es nicht.
    Die schlimmste Tragödie seines Lebens bestätigt die Richtigkeit seiner Gedanken. Das verlorene Kind erweist ihm wie eine Kronzeugin seiner Theorie einen letzten Dienst: Kein Glaube steht ihm mehr im Weg. Sowenig Gott ihn erhört hat, so wenig muss er nun auf Gott
Rücksicht nehmen. In wenigen Jahren wird er die größtmögliche Rache an seinem Schöpfer nehmen. Er wird ihn zur Erschaffung der Kreaturen für überflüssig erklären.
    Doch bis dahin hat er sich einen steinigen Weg ausgesucht. Noch immer brütet er über seinen Rankenfüßern. Eine kompliziertere Tiergruppe hätte er sich kaum aussuchen können. Diese Krebse bilden äußerst unterschiedliche Arten. Die Größe reicht von Erbse bis Birne. Die Geschlechter unterscheiden sich so sehr, dass man sie für vollkommen verschiedene Tiere halten könnte. Die Entwicklung von der Larve zum ausgewachsenen Tier vollzieht die absonderlichsten Schritte. Ich kenne keine überraschendere Metamorphose, dabei ist sie vollkommen klar und einleuchtend.
    Doch das weitaus Faszinierendste ist ihr seltsames Sexualverhalten. Die eine Art hat zwei Penisse, bei einer anderen sind die Männchen nichts als kleine Anhängsel, wie Parasiten. Die negativsten Geschöpfe der Welt; sie haben keinen Mund, keinen Magen, keinen Brustkorb, keine Glieder, keinen Hinterleib, sie bestehen ausschließlich aus den männlichen Fortpflanzungsorganen in einer Hülle. Er glaubt, hier einen Beleg dafür zu erkennen, wie selbstbefruchtende - »hermaphroditische« - Tiere allmählich Zweigeschlechtlichkeit entwickeln.
    Seine Evolutionstheorie, die er nach wie vor verborgen hält, dient ihm nun als Werkzeug, um diese kleine Welt zu verstehen. Was er vor sich hat, ist Veränderung durch unmerklich kleine Schritte. Gleichzeitig sieht er durch seine Detailarbeit die Theorie bestätigt, wie es ihm ohne die Beschäftigung mit den am Untergrund festsitzenden Krustentieren nie gelungen wäre. Sie wünschen womöglich meine Rankenfußkrebse und Speziestheorie allesamt al Diabolo, schreibt er an Hooker, aber mir ist egal, was Sie sagen; meine Speziestheorie ist die Wahrheit.
    Im Herbst 1854 hat er seine Forschungen an den Wirbellosen endlich abgeschlossen. Acht Jahre hat er darauf verwandt, die gesamte Gruppe einschließlich der fossilen Arten zu erfassen, wobei ich ungefähr zwei Jahre von dieser Zeit durch Krankheit verloren habe. … Meine Arbeit war mir von beträchtlichem Nutzen, als ich in meinem »Ursprung der Arten« die Grundsätze einer natürlichen Klassifikation zu erörtern hatte. Trotzdem bezweifle ich es noch, ob das Werk der Aufwendung von so viel Zeit wert war. Zumindest würde jetzt niemand mehr behaupten können, er sei kein richtiger Biologe.
Experten für Rankenfüßer gehören bis heute zu den rarsten Exoten unter den Zoologen. Auf Darwins gesamter Reiseroute ist keiner aufzutreiben. Niemand kann mir überhaupt einen auf der Welt nennen. Wahrscheinlich hat sich seit Darwin nie mehr jemand so

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