Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
sind sie bis heute geblieben.
Aber was gibt es hier, das dem Mythos gerecht wird? Was lockt Scharen von Pauschalreisenden an, die »Darwins Inseln« buchen? Wie wichtig war ihm selbst der Archipel? Und: Wäre er auch dann auf seine Theorie gekommen, wenn er nie diesen Ort gesehen hätte?
Was die »Gäste« hier suchen (und auch finden), ist schnell erfasst: ein sicheres Abenteuer, diesen größten inneren Widerspruch des modernen Themenparktourismus, Naturkunde in verdaulichen Häppchen, Schlauchbootfahrten, Schnorchelgänge, Landausflüge in einen Zoo ohne Zäune, wo ein ums andere Mal derselbe Zaubertrick zur Aufführung kommt: wilde Tiere ohne Fluchtinstinkt, zahme Monster, zum Anfassen nahe, urzeitliche Saurierwesen, Seelöwen und Großvögel ohne jede Scheu, dazwischen der Mensch als harmlos umherirrender Fremder, wie wenn eine unsichtbare Wand die beiden Welten trennte. Die Wesen zeigen kaum Interesse an den Eindringlingen, lassen sich von allen Seiten ablichten und schenken den Touristen Bilder, wie sie andernorts nur geduldigen Tierfotografen gelingen.
Da ist niemand ohne Kamera zu sehen. Viele haben zwei oder mehr dabei. Das selbst gemachte Bild als Beleg der eigenen Existenz. Brillante Fotos von Galápagos und seinen Tieren gibt es zuhauf. Die Läden in Puerto Ayora, der einzig nennenswerten Stadt, hängen voll davon. Doch der Leguan, mit eigener Linse geschossen, zählt mehr als tausend Profiaufnahmen. Die Lehrerin aus Holland könnte weinen, als am letzten Tag alle Bilder von ihrer Speicherkarte verschwinden. »Das ist, als wäre ich nie hier gewesen.« Selbst die Aufnahmen der Tochter bieten ihr keinen Trost. Die Beute ist der Sinn der Jagd. Wer ohne heimkehrt, hätte gleich zu Hause bleiben können.
Dabei ist das andere viel spannender. Es ist immer erfreulich, etwas zu erblicken, das schon so lange vertraut gewesen ist, aber nur durch Beschreibungen. Selten habe ich die Distanz zwischen dem Wahrnehmen von Abbildern und dem bewussten Erleben des gleichen Anblicks so deutlich verspürt wie auf Galápagos. Wo sonst kann sich der Reisende von flauschigen Küken des rotfüßigen Tölpels in die Hutkrempe picken lassen, ihren blaufüßigen Vettern beim Liebesspiel zusehen, sich Bussarden auf Kakteenblättern bis auf wenige Schritte nähern, Riesenschildkröten
zu ihrer Wasserstelle begleiten oder dem Kampf zweier vorsintflutlicher Meerechsen aus nächster Nähe beiwohnen? Alles so übersichtlich wie in einem Anfängerkurs in Naturkunde, wo nach wenigen Tagen jeder die wenigen dort behandelten Wesen auseinanderhalten kann.
Die Natur wirkt fast unnatürlich und der Friede so unheimlich künstlich wie in einem Schaukasten mit Aufziehpuppen. Und das in einer Wunderwelt, die auf dem Weg vom Himmel zur Hölle irgendwie auf der Erde hängen geblieben sein muss. Die schwarzen Felsen, von der senkrechten Sonne aufgeheizt wie eine Herdplatte, verliehen der Luft ein einschnürendes und schwüles Gefühl. Die Pflanzen riechen ebenfalls unangenehm. Das Land ließ sich mit unserer möglichen Vorstellung vergleichen, wie der kultivierte Teil des Infernos sein muss. Man geht wie Eva mit Adam durch einen Garten Eden auf der Asche der Unterwelt. Der Tag war glühend heiß, und sich den Weg über die raue Oberfläche und durch die verworrenen Dickichte zu bahnen, war sehr ermüdend, doch wurde ich durch die eigenartige, zyklopische Szenerie reich belohnt.
Die Bühne ist bereitet für Darwins Auftritt. In Puerto Ayora gibt es Straßen, Restaurants und Reisebüros, die seinen Namen tragen, T-Shirts, Tassen, Postkarten, komplette Wandgemälde mit seinem Konterfei und die Charles-Darwin-Forschungsstation mit ihrer eindrucksvollen Nachzucht von Landschildkröten. Galápagos ohne Darwin, das wäre wie New York ohne Manhattan. Doch wo steckt der Hauptdarsteller, der Werbeträger für die Show? Der Allgegenwärtige bleibt auf eine eigenartige Weise abwesend. Er lockt die Leute in sein Reich, als Ikone oder Galionsfigur, doch dann lässt er sie allein. Es gibt kein Tal des Heureka, keinen Felsen der Erkenntnis, keine Insel der Einsicht. Evolution lässt sich nicht betrachten wie ein Sonnenuntergang. Immer nur Momentaufnahmen, wie bei den Sternen, die still zu stehen scheinen, sich aber in Wahrheit bewegen. Wir staunen über das Ergebnis, sehen aber nicht den Prozess.
Das Galápagos in Darwins Kopf zählt ungleich mehr als das auf dem Globus. Er trägt es mit nach Hause. Erst dort liefert es ihm einen wichtigen Baustein für sein
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