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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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sitze ich in Melbourne Professor Michael Holland gegenüber, einem Direktor des Instituts für Fortpflanzungsforschung an der Monash University, der renommiertesten im Land. In seinem Institut wird Evolution nicht beobachtet, sondern gemacht. Er versteht sie als Ingenieursprojekt, seine Themen heißen In-vitro-Fertilisation, Optimierung des Erbguts und Klonen.
    Zwei Tage Fahrt zwischen dem Blick in die tiefe Vergangenheit des Lebens und dem in seine nahe Zukunft. Zwei Tage Hinterland, durch märchenhaft einsame Täler, über gewundene Pässe schnaufend in die Snowy Mountains, Nächte an rauschenden Bächen mit Campingkocher und Kerzenlicht oder inmitten knisternder Trockenheit als Folge von Jahren der Dürre. Nach dem schönen, selbstverliebten Sydney
mit seinen sportlich blond beherrschten Stränden wirkt das kühle, selbstbewusste Melbourne wie Hamburg gegen München. Zwei Tage von der puren Biologie zum Wendepunkt einer Kultur, die sich über ihre biologischen Ursprünge zu erheben beginnt. Und das mit der Gewissheit, wie wenig wir bisher von Eulenaugen auf Nachtfalterflügeln verstehen.
    Michael Holland gibt mir recht: »Wir wissen nicht genug, um zu tun, was wir tun. Aber wir tun es trotzdem.« Sein Erweckungserlebnis hat er als junger Mann, als er mit seiner Doktorarbeit zu drei Vierteln fertig ist. »Ich habe über die Reagenzglasbefruchtung bei Mäusen geforscht. Nie hätten wir gedacht, dass die Technik zu unserer Lebzeit jemals am Menschen angewendet werden könnte. Da erreichte mich die Nachricht der Geburt von Louise Brown, und ich beschloss, das Wort ›unmöglich‹ aus meinem Wortschatz zu streichen.«
    Louise Joy Brown, das erste »Retortenbaby«, kommt 1978 in England zur Welt. Seitdem hat Holland die rasante Entwicklung mitverfolgt und - an Tieren - teilweise mitgestaltet. Genau solch einen Pragmatiker habe ich gesucht, um aus berufenem Munde zu hören, was man sonst nur ungläubig in den Zeitungen liest. Von einem, der sich keine Illusionen macht über sein Tun. »Ich gebe zu, Darwin wäre nicht sehr erfreut über Leute wie mich. Dass wir ein Maß an Kontrolle über die Fortpflanzung und damit über die genetische Variation anstreben, das in Darwins Zeiten unvorstellbar war, ist zugleich faszinierend und für manche erschreckend.«
    Ein gebildeter Biologe, gemütlich und spritzig in einem, der gern scherzt und mitlacht. »Sie müssen besser sein als der Rest«, sagt er. Er zeigt auf seine Krawatte. Grün gemalt huschen darüber Schwärme von Spermien, ein weißes büxt gerade aus. »Erschaffe eine Kuh, die mehr Milch gibt, schneller wächst und weniger frisst, und du gewinnst das Spiel.« Seit über zehntausend Jahren züchten Menschen Tiere. Nichts hat unsere Vorfahren dazu bewegt, ihr Wissen auch auf die eigenen Spezies anzuwenden. Systematische Menschenzucht in nennenswertem Umfang kennt die Geschichte nicht. Biologisch sind wir ein kulturell geformter Wildtyp. Die Fortpflanzung war lange Zeit wie durch ein Tabu unantastbar.
    Mit Louise Brown ist ein Bann gebrochen. Durch die In-vitro-Fertilisation (IVF) ist der Zeugungsakt aus dem Körper ins Reagenzglas
verlegt worden. Damit ist der menschliche Embryo ins Visier der Biotechnik geraten, die ihre Erfahrungen aus der Tierzucht auf den Menschen zu übertragen beginnt. Heute leben Zehntausende als Resultat künstlicher Befruchtung - und keiner regt sich drüber auf. Im Gegenteil. Der Kinderwunsch ist stärker als alle Bedenken. Für Holland eine symptomatische Entwicklung: Wo Bedarf und Geld im Spiel ist, lässt die Praxis die Proteste über kurz oder lang verstummen. In Deutschland wird bereits eines von achtzig Kindern mittels IVF gezeugt.
    Vorreiter sind stets Experimente an Tieren. Da gibt es in der Regel keine Widerstände, sondern stilles Einverständnis. Nur bei echten Durchbrüchen, wie 1996 beim Klonschaf Dolly, heult die Meute auf, dann zieht die Forschungskarawane weiter. Dass Dolly, die mit schweren Gesundheitsproblemen frühzeitig eingeschläfert werden musste, keineswegs für eine reine Erfolgsgeschichte steht, erfahren wir meist nur im Kleingedruckten. Vermutlich sorgen bei Säugetieren epigenetische Effekte dafür, dass Klone keine reinen Klone sind, sondern sich von ihren »Muttertieren« unterscheiden.
    Ethikkomitees haben dazu nichts zu sagen. Sie befinden allenfalls über Tierquälerei. Was im Reagenzglas passiert, interessiert keinen Tierschützer. Manche nutzen die neuen Techniken sogar und lassen ihre vierbeinigen Lieblinge

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