Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
stellt er den Darwinismus auch in den Dienst politischer Ideologie, erklärt Selektion und Konkurrenz zur Grundlage gesellschaftlichen Fortschritts und versteht den deutschen Nationalstaat als darwinistisches Projekt. Und wie kein anderer verschafft er dem Rassismus ein wissenschaftliches Fundament.
Indem er »Naturvölker« zwischen Tier und Mensch ansiedelt, gibt Haeckel sie gleichsam zum Abschlachten frei, als Deutschland erstmals kolonialistisch auftritt. »Diese Naturmenschen (z. B. … Australneger)«, schreibt er in seinen »Lebenswundern«, »stehen in psychologischer Hinsicht näher den Säugethieren (Affen, Hunden), als dem hochcivilisirten Europäer; daher ist auch ihr individueller Lebenswerth ganz verschieden zu beurteilen«. Vom »niederen Seelenleben« zum »lebensunwerten Leben« ist es da nicht mehr weit. Wenn es also heißt, die Nazis und andere Tyrannenregime beriefen sich auf Darwin, dann ist damit eigentlich Haeckel gemeint.
Der Deutsche muss den Rassismus freilich nicht neu erfinden. Vielmehr verschafft er dem Zeitgeist einen wissenschaftlichen Rahmen. »Alle Versuche, diese und viele andere Stämme der niederen Menschenarten der Kultur zugänglich zu machen, sind bisher gescheitert; es ist unmöglich, da menschliche Bildung pflanzen zu wollen, wo der nötige Boden dazu, die menschliche Gehirnvervollkommnung, noch fehlt.« Namentlich führt er unter anderen »Feuerländer« auf und »Australier«.
Tasmanien gefällt Darwin auch deshalb so gut, weil die Insel den großen Vorteil genießt, von einer einheimischen Bevölkerung frei zu sein. Damit drückt er aus, was zwischen den Zeilen steht, wenn man in Tasmanien das Problem der Aborigines anspricht. Darwin hat keine Zweifel am schändlichen Verhalten einiger unserer Landsleute. Er besucht das Land zur Zeit der Treibjagden auf die letzten Ureinwohner. Eine Linie wurde gebildet, die über die ganze Insel reichte und mit der die Einheimischen in eine Sackgasse auf der Tasmanhalbinsel getrieben werden sollten. Die letzten Ureinwohner werden auf eine kleine Insel verfrachtet, 1835 sind es noch zweihundertzehn, sieben Jahre später vierundfünfzig Personen. Die
letzte »Reinblütige« stirbt 1876. Dreißig Jahre sind eine kurze Zeit, um den letzten Ureinwohner aus seinem Heimatland vertrieben zu haben - und diese Insel ist beinahe so groß wie Irland.
Was sonst er an Tasmanien mehr liebt als an allen anderen Orten, außer der rein europäischen Bevölkerung und dass einige der abgeschieden liegenden Bauernhäuser … ein sehr reizvolles Bild abgeben, geht aus seinen Aufzeichnungen nicht hervor. Über die Hauptstadt Hobart schreibt er: Der erste Eindruck des Ortes war dem Sydneys deutlich unterlegen; dies ließe sich eine Stadt nennen, jenes nur ein Dorf. Der Hausberg der Stadt, der Mount Wellington, sei von geringer malerischer Schönheit.
Darwins Landsmann Nicholas Shakespeare, Autor unter anderem des erfolgreichen Tasmanienromans »Der Sturm«, hat sein Luftschloss Wirklichkeit werden lassen. Sein Haus in den Dünen des Nine-Mile Beach, unweit der Ortschaft Swansea - ein Tempel aus Zedernholz und Glas zur Anbetung von Raum und Licht. Sein Vater John Shakespeare, britischer Botschafter in Buenos Aires während des Falklandkriegs, ist aus England zu Besuch. So wie vor neun Jahren, als er eigens angereist war, um seinem Sohn die Idee auszureden, sich hier niederzulassen. Am Morgen nach seiner Ankunft stand er mit Tränen in den Augen barfuß am Wasser. »Noch nie bin ich an einem so schönen Fleck gewesen.« Wir spazieren über den menschenleeren Strand. Als Teilzeittasmanier, der den Rest des Jahres in England verbringt, schätzt Shakespeare besonders die Sicherheit und Sorglosigkeit, mit der er auf diesem Flecken Erde seiner Arbeit nachgehen kann. Seine Frau Gillian joggt vorbei, einen der beiden Söhne auf dem Fahrrad an ihrer Seite. Erst hier habe er begriffen, dass die Welt im Grunde immer die gleiche bleibe und der Literatur die Aufgabe zukomme, die Menschen das vergessen zu lassen.
Der Schriftsteller und Biograf seines Freundes Bruce Chatwin spricht von Patagonien. Ich verstehe. So wie Chatwin ein ganzes Buch gebraucht hat, um dem Nichts eine Erzählung zu entlocken, hat auch Shakespeare seine neue Heimat »In Tasmanien« fast fünfhundert Seiten lang mit Worten gemalt. Wie Patagonien, sagt er, diene Tasmanien als Sehnsuchtsort, Symbol für Entlegenheit, ein »Weltraum auf Erden«. Erst hier habe er das Gefühl entwickelt, nahezu endlos
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