Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
vor sich selbst.
»Der größte Feind des Teufels ist der Teufel.« Durch gegenseitige Ansteckung, etwa bei Revierkämpfen, sei kein Tier vor der Krankheit sicher. Deshalb müssten gesunde Tiere vom Rest der Population abgetrennt
werden. Der Tonmeister mit akademischem Abschluss in Tierverhalten hat eine Halbinsel neben seinem Wildpark dazugekauft und durch einen Zaun abgetrennt. Auf der wildert er eingefangene Tiere nach einer Quarantäne aus. Gefangenschaft als Rettung.
Hinter der Tragödie verbirgt sich ein wissenschaftliches Rätsel. Ursprünglich leben die Fleischfresser auch über das ganze australische Festland verteilt. Vor etwa fünftausend Jahren bekommen sie plötzlich Konkurrenz. Vermutlich auf antiken Handelsschiffen gerät ein domestizierter Hund von Malaysia nach Australien und verwildert dort. Der Dingo übernimmt die Rolle des Königs der Räuber und drängt den Teufel zurück, bis der im 14. Jahrhundert ausstirbt.
Da die Dingos nie auf die Insel Tasmanien gelangen, bleibt die dortige Teufelpopulation verschont. Sie fällt aber, wie genetische Analysen zeigen, mindestens einmal auf nur wenige Individuen zurück. Durch diesen »Flaschenhalseffekt« (bedingt durch »genetische Drift«) sind alle Tiere heute relativ nah miteinander verwandt. Dadurch könnten der gesamten Art Erbanlagen fehlen, die sie gegen Krankheiten wie das ansteckende Krebsleiden immun machen würden.
Die Menschheit ist ebenfalls durch solch einen genetischen Flaschenhals gegangen. Vor etwa 100000 Jahren, als unsere Vorfahren Afrika verließen, zogen womöglich nicht mehr als fünfhundert Individuen los. Deshalb besitzen Schimpansen, die nicht durch ein solches genetisches Nadelöhr mussten, eine deutlich höhere Variation pro Gen als wir. Das schützt unsere nächsten genetischen Verwandten besser im Kampf gegen Mikroben. Nicht das Individuum freilich, sondern die Population. Über Generationen hinweg können sich Resistenzen über die ganze Art verteilen. Forscher in Tasmanien hoffen, dass auch der Teufel solche Reserven bereithält, sodass die Art von innen heraus gesunden kann. Bis jetzt gibt es dafür jedoch keine Anzeichen.
Womöglich haben Schimpansen durch ihre genetische Variabilität auch eine Immunität gegen Aids entwickelt. Sie können das Immunschwächevirus tragen, ohne zu erkranken. Etwa ein Prozent der Menschen besitzt ebenfalls eine Mutation, die sie vollständig immun macht gegen HIV. Solche Resistenzen treten immer wieder auf. Während der großen Pestepidemien im Europa des 14. Jahrhunderts war ein Teil der Bevölkerung geschützt. Steckte die Menschheit heute
noch voll im biologischen Kampf ums Dasein mit dem Überleben der Tauglichsten und dem Tod der Infizierten, dann könnte sich die HIV-Resistenz auf Dauer über die ganze Spezies verbreiten. In einigen afrikanischen Ländern mit hohen Aids-Raten dürfte die natürliche Auslese tatsächlich teilweise am Werk sein. Biologie in ihrer rohesten Form. Mikroorganismen üben einen so starken Selektionsdruck aus, dass sie entscheidend zur Evolution der Arten beitragen.
Die »kulturelle« Antwort auf solche Herausforderungen heißt Wissenschaft. Nach Impfstoffen und Antibiotika hoffen Molekularbiologen auf Immunisierung durch Gentherapie. Gelänge es beispielsweise, das Resistenzgen gegen HIV in das Genom von Embryonen zu schleusen, wären diese zeitlebens immun. Bisher sind jedoch alle gentherapeutischen Versuche mehr oder weniger kläglich gescheitert, manche endeten mit dem Tod der Patienten. Ein Grund: Das Erbgut eines Organismus, sein Genom, ist unendlich viel komplizierter als noch vor Kurzem angenommen.
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, im Jahr 2000 als Meilenstein gefeiert, war nicht mehr als ein erster Schritt auf einem Weg, dessen Länge niemand kennt. Fast wöchentlich wartet die Genforschung mit sensationellen Neuigkeiten auf. Im Jahrestakt berichten Forscher von Durchbrüchen, die der Entdeckung von Mikroben oder des Immunsystems gleichkommen. Die Biologie sammelt Daten wie in der Zeit vor Darwins Revolution. Man könnte heute ein Buch vom Umfang der »Entstehung der Arten« schreiben, um ähnlich dicht gedrängt nur die neuesten Erkenntnisse zusammenzufassen. Allein, es fehlt eine Theorie, die all die Teile des Puzzles in einem Bild zusammenführt.
Das Unternehmen erscheint ähnlich schwindelerregend wie die Erfassung und Klassifizierung aller Lebewesen seit Linné. Ganze Familien neuer Stoffgruppen tauchen auf. Das Genom
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