Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
zivilisierten Menschen von gesundem Verstand als Rückfall in die Barbarei aus. Das kulturell erzeugte Problem der Überbevölkerung lässt sich nur kulturell lösen.
Mehr als alles andere hat meine Reise mich in der Ansicht bestärkt, dass ein Ende unseres Wachstums die vordringlichste Aufgabe der
Menschheit ist. Sämtliche globalen Krisen - von Nahrungs-, Energieund Ressourcenverknappung über Klimawandel bis zu Flüchtlingsströmen, Terror und Krieg - hängen davon ab.
Darwins große Leistung war es, uns unsere (biologische) Herkunft zu erklären. Für unsere (kulturelle) Zukunft von riesiger Dauer , die er seiner Spezies vorhersagt, hat sein Gedankenmodell wenig oder keine Bedeutung. Wo er noch durch natürliche Zuchtwahl … alle körperlichen und geistigen Gaben immer mehr nach Vervollkommnung streben sieht, also die Macht der Gene im Kampf ums Dasein favorisiert, ist längst die Umwelt der wichtigste Faktor zur Verbesserung der Conditio humana geworden. Je weiter wir unserer Biologie durch Kultur entrinnen, desto besser die Aussichten für die Menschheit.
Mit jedem neugeborenen Menschen übergibt die biologische Evolution der kulturellen ein hochempfindliches, in viele Richtungen formbares Wesen. Ob jemand sich später gut oder schlecht ernährt oder benimmt, gewalttätig wird oder friedlich, geistig wach oder träge, hängt wesentlich davon ab, welche Nahrung ihm früh zuteilgeworden ist - ob Essen oder Wissen, sozialer Umgang oder Seelenwärme. Auch wenn angeborene Begabungen mitwirken: Wir sind mit unseren Fähigkeiten und Marotten weniger Marionetten unserer Gene als vielmehr lebenslanger, vor allem kindlicher und jugendlicher Prägung. Je mehr Chancen ein Mensch früh erhält, desto mehr wird er später auch haben.
Auf Dauer werden im globalen Überlebenskampf jene Kulturen die Nase vorn haben, die ihre Talente unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder »Rasse« am besten zu nutzen wissen. Jedenfalls lässt sich durch gute Bildung, Ernährung und ein geordnetes Umfeld im 21. Jahrhundert mit Sicherheit eher der teuflischen Dreifaltigkeit von massenhaftem Verfetten, Verblöden und Verschulden entkommen als durch Menschenzucht mit all ihren Risiken.
Francis Galton verfolgt mit seinem eugenischen Programm durch gesteuerte Heiraten innerhalb der Elite und die Förderung von deren Fortpflanzung, was Nietzsche »Übermensch« nennen wird: eine Klasse von Individuen mit herausragenden Merkmalen durch klassische Zucht. Welche nächsthöhere Stufe der Menschheitsentwicklung lässt sich in der Logik der Geschichte stattdessen vorstellen? Das eigentliche Überwesen, dessen Geburt wir gerade erleben (und bewirken),
kommt weder aus Zuchtanstalten noch aus der Retorte. Es entsteht da, wo die Menschheit durch die konstruktiven Kräfte der Globalisierung zum kulturellen Superorganismus zusammenwächst, einer - wenn auch noch gespaltenen - Gemeinschaft von Geist und Seelen. Steckt in ihr die Zukunftschance unserer Spezies?
Die Entwicklung verläuft so rasant, dass wir innerhalb einer Generation einen Quantensprung vollzogen haben. Information, die Währung der kulturellen Evolution, kann praktisch in jeder beliebigen Menge leicht wie ein gesprochenes Wort vom Sender zum Empfänger ohne Zeitverlust den Globus umrunden. Das gesamte Wissen der Welt steht prinzipiell schon heute allen Menschen zur Verfügung, auch wenn (zu) viele bislang keinen Zugang haben. Der Index für das Zusammenwachsen der Menscheinheit steigt stetig an, obwohl starke nationalistisch-religiöse Kräfte dagegenarbeiten.
Die kulturelle Symbiose findet vor unseren Augen statt. Der weltweite Austausch von Waren nimmt ständig zu. Erfindungen wie Mobiltelefon oder Internet fassen innerhalb einer Generation auf dem ganzen Erdball Fuß. Globale Bedrohungen und Katastrophen erzeugen über die Medien erste Ansätze eines Menschheitsbewusstseins. Konturen einer Weltkultur zeichnen sich ab. Schritte auf dem Weg zur Weltbürgerrepublik, wie sie schon Immanuel Kant vorschwebte?
Die Menschheit hat unglaubliche Höhen erreicht und ist dabei durch unvorstellbare Tiefen gegangen. Die schlimmsten Barbareien haben bis heute dieselben Ursachen: Macht- und Habgier - und die daraus folgenden Traumata. Ihre Fortsetzung nennt der Philosoph Jürgen Habermas »sozialdarwinistisch enthemmte Weltpolitik«. Wie wäre es mit dem Gegenmodell, einem weltweit um sich greifenden sozialen Darwinismus mit gleicher werdenden Chancen für alle, auf bestmögliche Weise einer
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