Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
ließ.
Darwins Schatten überragt seinen Namen um genau fünf Buchstaben: i, s, m, u, s. Sie trennen Wissenschaft von Weltanschauung, Idee von Ideologie, Biologie vom Biologismus. Keinem Naturforscher seines Ranges, keinem Newton, Einstein oder Heisenberg wurde je die Ehre zuteil, als Begründer eines -ismus in die Geschichte einzugehen. Doch dafür zahlt Darwin posthum einen hohen Preis: Unter Biologen gehört es zwar nach wie vor zum guten Ton, sich als Anhänger seiner Theorien zum Darwinismus zu bekennen und damit vor allem vom Kreationismus abzugrenzen. Im gängigen Sprachgebrauch jedoch steht Darwinismus für Sozialdarwinismus, für Ellbogen und das Recht des Stärkeren im allgegenwärtigen Verdrängungswettbewerb. Wer jemand anderen einen Darwinisten nennt, meint das in der Regel nicht freundlich. Je darwinistischer eine Gesellschaft daherkommt, desto egoistischer, unsozialer, kälter steht sie da.
Wenn in diesen Tagen von einer Krise der Märkte, ja des Kapitalismus die Rede ist, dann steckt dahinter vor allem auch die Krise eines Darwinismus der Konkurrenz und Eigensucht - und zwar nicht
nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Biologie. Lebenswissenschaftler wie der Freiburger Neurobiologe Joachim Bauer sprechen schon davon, dass »der Darwinismus mittlerweile zu einer Art Albtraum geworden« ist. Der Physiker und Zivilisationsforscher Freeman Dyson ruft »das Ende des darwinschen Zeitalters« aus. Und Jürgen Habermas erklärt die »sozialdarwinistisch enthemmte Weltpolitik« zum Ausläufermodell.
Aber was hat Darwin damit zu tun? Werden ihm, so die gängige Lehrmeinung, die fünf Buchstaben unverdient angehängt? Oder trägt der (Sozial-)Darwinismus seinen Namen zu Recht? Unterliegen Gesellschaften tatsächlich seinem biologischen Grundgesetz? Oder wirken im menschlichen Miteinander Mechanismen jenseits der Biologie? Wie viel Schuld trägt Darwin daran, dass er wie kein zweiter Wissenschaftler zur Reizfigur geworden ist?
Seine historische Leistung ist unbestritten: Als Erster formuliert Darwin eine weltumspannende Theorie des Lebens. Er beschreibt die kreative Kraft des Todes, ohne den es keinen evolutionären Fortschritt gäbe. Er stellt die menschliche Existenz wie die aller Lebewesen auf eine natürliche, materielle Grundlage. Seit Veröffentlichung seiner Evolutionslehre wissen wir, was die Welt des Lebendigen im Innersten zusammenhält: ihre Geschichte.
Nach der Theorie der »gemeinsamen Abstammung«, Darwins zweifellos bleibendem Vermächtnis, gehen alle Kreaturen auf ein und denselben Ursprung zurück. Indem er überdies einen plausiblen Mechanismus für den Evolutionsvorgang liefert, fordert er wie keiner vor ihm die Schöpfungsgeschichte heraus, das zu seiner Zeit gängige Erklärungsmodell für den Ursprung der Arten. Nicht ein planender Gott hat nach Darwin die überbordende Vielfalt des Lebens erschaffen, sondern ein planloser Prozess namens »natürliche Auslese«, in dem sich Zufall und Notwendigkeit produktiv ergänzen.
Wenn man so will, geht Darwins Dilemma auf ein wissenschaftshistorisches Paradox zurück: Geburtsfehler seiner Theorie, ohne die sie nicht hätte entstehen können. Nachdem er anhand fossiler und heutiger Arten deren Wandelbarkeit durch Evolution erkannt hat, vergleicht er den evolutionären Vorgang mit der Züchtung von Pflanzen und Tieren. Die Modifizierung von Arten sei nichts anderes als gesteuerte, beschleunigte Evolution. Kollegen weisen Darwin
darauf hin, dass künstliche und natürliche »Zuchtwahl« sich grundlegend unterscheiden. Bei der einen wird mit (menschlichem) Wissen und Willen bewusst ein Ziel angesteuert, der anderen fehlen Ziel und ordnende Hand - wenn nicht, wie von Verfechtern eines »Intelligent Design«, der Schöpfer durch die Hintertür wieder ins Spiel gebracht wird.
Da in jeder Generation im Durchschnitt eher die schlechter Angepassten von der Fortpflanzung ausgeschlossen sind, findet in freier Wildbahn auch keine positive Selektion statt, wie bei der Zucht, sondern in der Regel negative. Würden Züchter so verfahren wie die Natur, müssten sie sehr lange auf Erfolge warten - wenn sich überhaupt je welche einstellen würden. Pinscher oder Doggen, Turboweizen oder Superkühe hätte die biologische Evolution von sich aus niemals hervorgebracht. Sie sind Produkte der Kultur.
Im nächsten Schritt holt Darwin zu seinem deduktiven Geniestreich aus. Er verknüpft seine Erkenntnisse aus der Zucht mit der Bevölkerungstheorie eines
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