Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
World Service.
Alles so funktionell und schmucklos wie überall, wo Militär und Techniker das Sagen haben. Sendeanlagen, Satellitenschüsseln, Sicherheitszonen, Bunker und Wohnbaracken, ein Golfplatz im Lavafeld, dazwischen Teerstraßen und Ascheflächen, der Versuch eines Vorgartens, ein windgebeugter toter Baum. Ich marschiere auf Darwins Spuren durch die Ödnis hinter der Hauptsiedlung Georgetown. Der Tag war klar und heiß, und ich sah die Insel nicht voller Schönheit lächeln, sondern mit nackter Scheußlichkeit glotzen. Kein Schatten, nur Schotter, Asche und Staub unter tropischer Sonne. Leben und Tod, so nah beieinander. Kein Ort der Reise hat den Kontrast schärfer gezeichnet.
Hier also werden sich unsere Wege trennen. Ich fliege mit der
Royal Air Force zum Stützpunkt Brize Norton bei Oxford. Kapitän FitzRoy steuert noch einmal, um seine Chronometer zu kalibrieren und Vorräte zu bunkern, bekannte Ziele an: die Kapverden-Insel São Tiago und die Bucht von Bahia in Brasilien. Nach einer Stippvisite auf der Azoreninsel Terceira erreicht die Beagle mit dem glücklichen Darwin am 2. Oktober 1836 den Hafen von Falmouth im Südwesten Englands, nachdem ich nahezu fünf Jahre an Bord des guten kleinen Schiffs gelebt habe. Ende der ersten Etappe auf dem langen Weg zum Weltruhm.
Spät am Abend, im mondlosen Dunkel, gehen die Schwergewichte an Land. Im Schein meiner Kopflampe kann ich erkennen, wie sie sich vorwärtsarbeiten. Den ganzen Weg aus Brasilien sind sie unterwegs, um wie ihre Eltern und unzählige Vorfahren auf demselben Stück Erde den Zyklus der Fortpflanzung zu schließen: Suppenschildkröten. Zwischen drei- und fünftausend Weibchen der Spezies CHELONIA MYDAS bringen jedes Jahr ihre Eier hierher.
Der Strand ist zerpflügt von ihren Kratern. Jedes Muttertier vergräbt mit seinen Flossenfüßen innerhalb von zwei Wochen bis zu zehn Mal etwa hundertzwanzig tischtennisballgroße Eier. Alle drei bis vier Jahre zwischen Dezember und Juni sind sie zur Eiablage wieder hier. Nach fünfzig bis sechzig Tagen kommen die Schlüpflinge zur Welt und beginnen den Lauf um ihr Leben. Nur einer von tausend wird das Wasser erreichen, den Ozean überqueren, zu anderthalb bis eindreiviertel Metern Länge heranwachsen und in frühestens zwanzig Jahren, die Spermiensäcke voller Samen oder den Bauch voller Eier, zu dem winzigen wüstenhaften Punkt auf dem Globus wiederkehren.
Wie die urzeitlichen Riesen ihr Ziel finden, ist nicht genau bekannt. Womöglich weisen ihnen Geruchs- und magnetische Sinne den Weg. Jedenfalls muss ihnen die lange Anreise einen evolutionären Vorteil verschafft haben - bis der Mensch kam und sie als leichte Beute und Proviantquelle der Seeleute beinahe ihr Ende gefunden hätten.
Darwin hat die Eiablage der Suppenschildkröten offenbar um wenige Wochen verpasst. Und doch ist er dabei, als ich mit seinen heimlichen Lieblingstieren Abschied nehme von unserem Abenteuer des Lebens. Durch seine Theorie der gemeinsamen Abstammung hat er sie zu unseren Brüdern und Schwestern geadelt.
Ich habe meine Lampe gelöscht. Seit Jahrmillionen die gleiche Sinfonie.
Kratzen, Scharren, geworfener Sand. Begleitet vom Rauschen auslaufender Wellen und dem Schweigen der Sterne. Niemand kann ungerührt in dieser Einsamkeit stehen und nicht spüren, dass im Menschen mehr ist als nur der bloße Atem seines Körpers.
Als biologische Wesen standen wir kurz davor, die schwerfälligen Reptilien auszulöschen. Als kulturelle Wesen haben wir sie in Darwins Sinn mit international gültigem Gesetz weltweit geschützt. Doch die größte vom Menschen bedrohte Spezies sind wir selbst. Wir haben in der Hand, wohin die Reise geht.
Epilog
Wie auch immer die Geschichtsbücher die Ära Obama einmal bewerten mögen: Allein sein Sieg symbolisiert einen Schritt aus dem Schatten jenes Mannes, der unser Sein und Bewusstsein nachhaltiger geprägt hat als je ein politischer Führer. Es war Charles Darwin, der den Menschen ihre natürliche Herkunft erklärte und »eine Zukunft von riesiger Dauer« prophezeite, in der sie »immer mehr nach Vervollkommnung streben«. Aber es war auch Darwin, der das Schicksal seiner Spezies dem Primat der Biologie unterwarf und ihrer Entwicklung damit einen gewaltigen Stolperstein in den Weg schob. Seine Evolutionstheorie leistete und leistet einem Denken Vorschub, das die Wahl eines Halbschwarzen aus kleinen Verhältnissen zum mächtigsten Politiker der Welt noch vor kurzem utopisch erscheinen
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