Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Menschenverächter notfalls noch auf krude Rassentheorien und angeblich nachweisbare Unterschiede berufen. Darwin wird der Erste sein, der damit wissenschaftlich aufräumt. Nach modernen genetischen Studien unterscheiden sich zwei beliebige Menschen auf der Welt nicht mehr als irgendwelche zwei Schimpansen in einem einzigen Waldgebiet Zentralafrikas. Heutiger Rassismus ist daher vor allem dumm - oder bösartig.
Nach den Prinzipien rein biologischer Evolution, wie Darwin sie verfasst, lägen das Erobern fremder Länder und sogar das Ausrotten einheimischer Bevölkerungen im Rahmen der natürlichen Regeln. Doch beim Menschen macht Darwin von Anfang an eine Ausnahme. Damit akzeptiert er - indirekt - das Konzept einer kulturellen Evolution. Wenn das Elend unserer Armen nicht durch die Gesetze der Natur, sondern durch unsere Gewohnheiten verursacht wird, ist unsere Sünde groß. Beim Kulturwesen Mensch hat das Recht des Stärkeren seine Grenzen. Wo sie liegen, hat er nie genau festgelegt. Doch am Ende seiner Reise sagt er erleichtert: Gott sei Dank werde ich nie wieder ein Sklavenland besuchen.
Wir fahren Richtung Süden über die Nationalstraße 101, eine jener Horrorstraßen, die den gesamten Güter- und Personenverkehr entlang der Küste abwickeln. Schlaglöcher, riskante Überholmanöver, Autowracks. Zerlumpte Kinder und verwahrloste Hunde spielen am Straßenrand im Müll. Die meisten Menschen leben in primitiven Behausungen. Freiheit ist für die Nachfahren von Sklaven ein relativer
Begriff. Ihre kleinen Stücke Land, wo sie Kartoffeln oder Mais anbauen, haben sie oft dem Wald abgerungen. Dass damit Arten und Ökosysteme verloren gehen können, dürfte ihnen angesichts der großflächigen Waldvernichtung in ganz Brasilien wenig Kopfzerbrechen bereiten.
Arno erzählt, wenn man hier Aasgeier kreisen sehe, habe es eine besondere Bewandtnis. Wenig später geht er vom Gas. Vor uns am Himmel ziehen die mächtigen Vögel ihre Runden. Nach ein paar Minuten passieren wir die Trümmer eines zerfetzten Kleinwagens. Absperrungen, Blutlachen, Leichenteile. Ein Laster muss frontal in den Gegenverkehr geraten sein. Die Straße ist anstelle von Meilensteinen häufig mit Kreuzen markiert, die anzeigen sollen, wo menschliches Blut vergossen wurde.
Erleichtert verlassen wir schließlich die Hauptstraße, fahren ein Stück weit Richtung Ozean und unternehmen eine Wanderung in den halbwegs unberührten Urwald, wo Treppen, Stege und Hängebrücken bis in die Wipfel der Baumriesen führen. Darwin erwähnt das höchst paradoxe Gemisch aus Geräusch und Stille. Die Vielfalt der Vegetation, der Gräser, Farne, Blüten, Büsche, Bäume, und auf den Bäumen wiederum Schmarotzer und Symbionten, Bromelien, Moose, Flechten, macht den Wald zu einem Biodiversitäts-Hotspot weltweit.
Darwin tut das einzig Richtige in seiner Situation: Statt auch nur den Versuch zu unternehmen, hier schon eine systematische Sammlung von Pflanzen und Tieren anzulegen, lässt er sich einfach überwältigen. Die Aussicht auf wilde Wälder … wird jeden Naturforscher den Staub sogar von den Füßen eines Brasilianers lecken lassen .
Zahlen können Eindrücke nicht ersetzen, aber unterstreichen. Eine genaue Untersuchung eines Waldstücks von einem Hektar hat eine Liste von zweihundertfünfzig verschiedenen Arten von Bäumen mit einem Stammdurchmesser von mehr als zehn Zentimetern ergeben. In ganz Deutschland gibt es nur gut hundert heimische Baumspezies. Mehr als ein Viertel aller Pflanzenarten in dieser Region sind endemisch, sie kommen nirgendwo anders vor. Doch fast überall steht der Wald, wie die Ökonomen sagen, unter hohem Entwicklungsdruck - für Viehweiden, Obstplantagen, Eukalyptus für die Papierindustrie oder neue Siedlungen.
Bei Ilhéus erreichen wir den weitläufigen Campus des Brasilianischen Kakaoforschungsinstituts. In einer amerikanischen Fachzeitschrift
habe ich gelesen, dass ein Botaniker am dortigen Herbarium äußerst seltene Pflanzen im atlantischen Küstenwald untersucht. Statt nur mit Darwin die Vielfalt der Vegetation zu bewundern, will ich mit André Amorim das Gegenteil in Augenschein nehmen: das bevorstehende Ende einer Art, die an einer entscheidenden Verzweigung im Lebensbaum steht.
Der Botaniker führt uns in das Allerheiligste, den klimatisierten Lagerraum für getrocknete, gepresste Gewächse aus dem Wald. Reihen raumhoher Holzschränke, Packen roter Pappdeckel, Spezialpapier, und dazwischen, fein beschriftet, die Schätze der
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