Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
am Ende sind es über hundert. Um mögliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, beschließt FitzRoy, »seine« Feuerländer bei ihren Stammesangehörigen zurückzulassen und die Nacht in einer Bucht außerhalb ihres Areals zu ankern. Missionar Matthews bleibt tapfer bei den Nackten.
Bei unserer Rückkehr am Morgen … trafen wir zu unserer Freude alles ruhig und die Männer beim Fischestechen in ihren Kanus an. Alles scheint in bester Ordnung. »Jemmy hat seine Mutter und seine Brüder mit Hilfe seiner Freunde gleich eingekleidet«, berichtet FitzRoy. »Für ein Gewand, das ich der alten Frau schickte, sandte sie mir eine große Menge Fisch zurück, alles, was sie zu bieten hatte.« Noch verläuft alles im Sinne des Kapitäns, der nun (ohne es so zu nennen) als Versuchsleiter den nächsten Messpunkt acht Tage später ansiedelt. Zwischendurch bricht er mit zwei Walfangschiffen auf, um die westlichen Teile des Beagle-Kanals zu vermessen.
Als sie zurückkommen, finden sie die Siedlung in Auflösung und einen verängstigten Missionar, der ihnen, wie Darwin und FitzRoy übereinstimmend schildern, einen schlimmen Bericht liefert. Gleich nach unserer Abfahrt hatte ein geradezu systematisches Plündern begonnen. … Einmal forderte Matthews einen alten Mann auf, seinen Wigwam zu verlassen, worauf dieser mit einem großen Stein in der Hand zurückkehrte. … Eine andere Gruppe machte ihm mit Gesten deutlich, dass sie ihn nackt ausziehen und
ihm alle Haare aus Gesicht und Körper reißen wolle. Ich glaube, wir kamen gerade rechtzeitig, um ihm das Leben zu retten.
Interessant, wie sich die Einschätzungen der beiden Gentlemen unterscheiden, nachdem klar ist, dass Matthews an Bord bleiben würde, die Feuerländer aber zurückbleiben sollten. Unsere drei Feuerländer hätten, obgleich sie nur drei Jahre unter zivilisierten Menschen gewesen waren, gewiss gern ihre neue Lebensweise beibehalten, das aber war offensichtlich unmöglich. Ich fürchte, es ist mehr als zweifelhaft, ob ihr Besuch ihnen überhaupt etwas genützt hat.
In FitzRoys Bericht heißt es: »Ich hoffte, dass unsere Motive, sie nach England mitzunehmen, durch ihre Vermittlung unter ihren Gefährten verstanden und geschätzt würden und dass ein künftiger Besuch sie uns gegenüber günstig gesinnt antreffen möge.« Doch der Kapitän braucht einen dritten Messpunkt. Noch sind seine Schützlinge »sauber und ordentlich gekleidet, … der Garten war unverletzt, und einige Gemüsepflänzchen sprossen bereits«. In einem Jahr wird er noch einmal vorbeikommen, um nach dem Rechten zu sehen und sein Experiment abzuschließen.
Es war ganz betrüblich, die drei Feuerländer bei ihren wilden Landsleuten zurückzulassen. Darwin zieht eine Linie: Hier die drei durch Kleider gemachten Leute, dort ihre nackten Vettern. FitzRoy gibt den Befehl zum Absegeln, durch den Murray-Kanal, dann direkt Kurs Ost zu den Falklandinseln. »Cikam-öra« heißt »reisen« bei den Yámana.
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Falklandinseln
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Pünktlich um Mitternacht legen wir in Ushuaia ab. Drei tiefe Schnaufer aus der Schiffshupe der MS Bremen, die mich ein Stück auf Darwins Route mitnimmt, und wir fahren den Beagle-Kanal hinaus, Richtung Atlantik. Die Wasserstraße hat sich ihren Namen verdient, so gerade verläuft sie zwischen den bergigen Inseln, backbord Tierra del Fuego und steuerbord Navarino. Der Kanal ist in der Regel nicht breiter als drei oder vier Meilen . Eine letzte Ansammlung von Lichtern auf der chilenischen Seite, das Städtchen Puerto Williams.
Wir stachen in See und steuerten auf die Falklandinseln zu. Noch im Dunkeln erreichen wir den offenen Ozean. Nachts blies es schwer mit hoher See: Die Geschichte dieses Klimas ist die Geschichte seiner Stürme . Sanft hebt und senkt sich die Bremen. Hundertelf Meter lang, siebzehn breit, ein Kreuzfahrt- und Expeditionsschiff, Kategorie vier Sterne, höchste Eisklasse, Müllverbrennungs- und vollbiologische Abwasserkläranlage. Stabilisatoren fangen die Wucht der Schläge ab. Das Bett wird zur Wiege. Nicht alle 132 Passagiere können das genießen. Der Schiffsarzt bekommt zu tun. Die meisten Passagiere sind Deutsche. Nach ein paar Monaten allein in der Fremde wie der Blick in einen Spiegel. Am Ende der Welt und plötzlich zu Hause mit Aufschnitt, Kondensmilch und Nutella zum Frühstück. Dazu die
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