Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
aus, »dass auch die konstruktiven Prinzipien der menschlichen Kulturgeschichte in ungebrochener Kontinuität zur biologischen Evolution stehen«.
Soziobiologen und ihre jüngsten Ableger, die Evolutionspsychologen, finden auf alles eine »natürliche« Antwort nach der Logik: Da es existiert, muss es sich als vorteilhaft durchgesetzt haben. Wozu ist Gähnen gut? Es könnte der Abkühlung des Gehirns dienen. Warum ist es ansteckend? Es erzeugt Gruppenaufmerksamkeit. Da soll »der Spaß am Quickie evolutionspsychologisch verankert« sein, da heißt es, Vergewaltigung sei eine »während der Stammesgeschichte begünstigte Spezialisation«, da wird das Gewaltverhalten der Männer in einer Weise evolutionär erklärt, dass es fast wie ein Freispruch klingt. Denn schuld sind - die Gene!
Evolutionspsychologen werfen den Menschen auf sein Steinzeitniveau zurück und behaupten (ohne Beweise liefern zu können), unser heutiges Verhalten habe sich im Wesentlichen als biologische Anpassung an die damaligen Verhältnisse entwickelt. Das ist nicht völlig
falsch, doch wo es stimmt, bleibt es trivial. Dass ungesunde Überernährung auf Zeiten zurückgeht, wo es auf das Anlegen körpereigener Energievorräte bei jeder sich bietenden Gelegenheit ankam, trifft vermutlich zu. Dass längst nicht alle Menschen, die es sich leisten können, zu unförmigen Fettklößen werden, spricht indes gegen das Diktat der Gene.
Niemand wird die herausragende Rolle von (angeborenen) Instinkten für das menschliche Handeln bestreiten. Wir sind ja nicht sexuell erregt, fürchten uns im Dunkeln oder erleben bei Gefahren Adrenalinschübe, weil uns das jemand beigebracht hat. Aber deshalb zu behaupten, wir seien gewissermaßen Marionetten unserer Gene, wie sie sich bei unseren frühesten Vorfahren als vorteilhaft durchgesetzt haben, verleugnet den Einfluss von Zivilisation und Kultur, oder anders gesagt: der Umwelt.
Genau das macht im Prinzip 1976 der junge britische Biologe Richard Dawkins, als er mit seiner gleichermaßen originellen wie gefährlichen Formel vom »Egoistischen Gen« die Debatte zuspitzt. »Wir sind Überlebensmaschinen - Roboter, die blind darauf programmiert sind, diese egoistischen kleinen Moleküle zu erhalten, die gemeinhin als Gene bekannt sind.« Nicht wir benutzen demzufolge die Gene, sondern die Gene uns.
Dabei folgt Dawkins der Logik des Survival of the fittest: Die Gene, die uns formen, haben sich gegen alle anderen Konkurrenten durchgesetzt. Sie »kämpfen« gegeneinander in Form der Organismen, deren Eigenschaften sie bestimmen. So wird das Gen zum Akteur, dem die Kreatur bis in ihr Verhalten zu folgen hat. Wenn sich Aggressivität als vorteilhaft erweist, dann hat sie evolutionär einen Sinn. Das Gleiche gilt für soziales und altruistisches Verhalten, solange es die Vermehrung der Gene sichert. Der wahre Egoist kooperiert.
Mit dem egoistischen Gen unterstellt Dawkins Erbanlagen Absicht und Aktivität. Gene »machen« aber nichts, genauso wenig wie Texte von sich aus etwas machen. Mit ihnen wird etwas gemacht. Im Grunde geht es ihm auch mehr um die Sichtweise als um tatsächliche Herrschaft. Er verwehrt sich gegen den Vorwurf, mit seinem Modell dem genetischen Determinismus den Weg geebnet zu haben. Zu glauben, die Gene steuerten das Leben des Menschen, hält er für blanken Unsinn. Er warnt sogar vor der Gefahr, durch Genmanipulation in
Prozesse einzugreifen, die in ihrer Komplexität nicht einmal annähernd verstanden sind.
Gleichwohl verleiht der brillante Provokateur aus Oxford mit seinem Perspektivwechsel der gen-zentrierten Weltsicht einen ideologischen Unterbau. Nebenher liefert er, ob gewollt oder nicht, eine biologische Begründung der Weltanschauung, die das Recht des Stärkeren und totale Konkurrenz unterstützt. Was in Zeiten des härtesten viktorianischen Kapitalismus das Überleben der Tauglichsten war, ist im Spätkapitalismus des 20. Jahrhunderts der alles durchwirkende Egoismus.
Interessanterweise verläuft die Debatte zeitversetzt zwischen Natur- und Geistes- oder Kulturwissenschaften. Als die Biologie noch eisern aufseiten der Gene steht, setzen Psychologie, Pädagogik und Gesellschaftslehre beginnend in den späten Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts verstärkt auf die Formbarkeit durch Erziehung, mildern die Folgen der Herkunft, erfinden Gebührenfreiheit, Gesamtschulen und zweiten Bildungsweg, öffnen in der goldenen Zeit der Chancengleichheit im Gefolge der Achtundsechziger wie noch nie
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