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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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mit ihrer Herkunft konfrontiert. Jemmy war nun in einer Gegend, die ihm wohlvertraut war, und lenkte die Boote zu einer recht hübschen Bucht namens Woollya. … Dort trafen wir eine Familie von Jemmys Stamm … Da … die Stelle ausnehmend günstig war, beschloss Kapitän FitzRoy, die ganze Gruppe hier anzusiedeln, darunter auch Matthews, den Missionar.
    Nach einigem Herumsuchen hat die Beagle auf der Insel Navarino den Strand angelaufen, der heute Wulaia heißt und zu Chile gehört. Jemmys Mutter und Brüder trafen ein. Jemmy erkannte die Stentorstimme eines seiner Brüder schon aus erstaunlicher Entfernung. Die Begegnung war weniger interessant als zwischen einem Pferd, das aufs Feld gelassen wird, mit seinen alten Gefährten. Es gab keinerlei Bekundung von Zuneigung.
    Jemmy beherrscht seine Muttersprache kaum noch. Er läuft herum wie ein Londoner Bürosekretär: in elegantem Zwirn, mit Lackschuhen
und Pomade im Haar. Es war lachhaft, aber auch mitleiderregend, wie er mit seinem wilden Bruder Englisch redete, und ihn dann auf Spanisch fragte … , ob er ihn nicht verstehe.
     
    Hier bewegt sich Darwin haarscharf an der Grenzlinie zwischen Biologie und Kultur. Was heißt wild und rückständig, wenn sich Menschen innerhalb weniger Jahre formen und scheinbar völlig umkrempeln lassen? Was von dem, was wir sind, ist überhaupt angeboren, was eignen wir uns an, und wann? Wie weit ist Verhalten im Sinne Darwins durch natürliche Auslese geformt und genetisch fixiert? Inwieweit ist umgekehrt unsere Natur plastisch, sind wir formbar, durch Erziehung, Ernährung, Umwelt, Bezugspersonen? Diese Frage wird nach Darwin mehr weltanschauliche Grabenkämpfe hervorrufen als jede andere, die er hinterlassen hat.
    Als Erster eröffnet sein Halbcousin Francis Galton die Debatte, als er nach 1860 ein Programm zur Züchtung optimierter Menschen anregt, das er später »Eugenik« nennt. Überall auf der Welt finden sich begeisterte Anhänger, Programme starten in den USA wie in der Schweiz, in Schweden oder China. Unter den Nationalsozialisten erfährt die »wissenschaftlich« fundierte Eugenik als pervertierte Genetik ihre monströse Perfektion. Während Faschisten Rasse, Gene und Blut »verbessern« wollen, setzen Kommunisten auf Umerziehung und Kulturrevolution. In der Sowjetunion glaubt man an den besseren Menschen durch Indoktrination und versucht im Geiste des sogenannten Lysenkoismus sogar, Pflanzen ohne biologische Zucht andere Eigenschaften und bessere Erträge beizubringen.
    Natur und Umwelt - in seinen Worten: »nature« und »nurture« - stellt erstmals Galton explizit gegenüber, als er sich fragt, ob sich Talent und Genialität vererben. Er glaubt eindeutig an die Macht der »Natur«, also der Gene. Seit Ende der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts macht sich von den USA aus als eine Art Gegenbewegung breit, der Behaviorismus. Mit seiner Ansicht, menschliches Verhalten lasse sich durch positive oder negative »Verstärker« beliebig formen, beherrscht der Amerikaner Burrhus Skinner jahrzehntelang die Psychologie. Zwischen den beiden Extremen liegt eine Wahrheit, von der unter anderem abhängt, welche Bildung und Ernährung wir unseren Kindern zukommen lassen.

    Die Naturwissenschaft bleibt dem Glauben an die Vererbung treu. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz beschreibt 1943 die »angeborene Form möglicher Erfahrung«. Er kann Gänseküken so auf sich als erste Bezugsperson »prägen«, dass sie ihm wie einem Muttertier hinterherwatscheln. Nachdem Lorenz seine Überlegungen von Tieren auf die eigene Spezies ausgedehnt und »Das sogenannte Böse« untersucht hat, Aggression, Gewalt und Krieg, beginnt erneut die Ideologisierung des biologischen Menschenbilds. Sein Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt spricht sogar vom »vorprogrammierten Menschen«.
    Der amerikanische Biologe Edward O. Wilson unternimmt ab 1975 mit seiner »Soziobiologie« den Versuch, tierisches wie menschliches Verhalten evolutionsbiologisch zu erklären. Darin lebt Darwins alter Traum wieder auf, neben körperlichen Merkmalen auch Geistiges über die Mechanismen der biologischen Evolution zu erklären - und ihr damit die kulturelle unterzuordnen. Der Gießener Biophilosoph Eckart Voland fasst die Grundsätze zusammen: »Gerade in seiner Kultur zeigt sich des Menschen Natur. Und sie mögen außergewöhnlich lernfähig sein, aber dass Menschen deshalb belehrbar wären, heißt das nicht. Das ist im Kern die Auffassung der Soziobiologie.« Sie gehe davon

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