Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
zuvor die Schranken zwischen den Klassen, sodass Arbeiterkinder erste Beamte ihres Staates werden können.
Heute wächst aus der Biologie mehr und mehr die Erkenntnis, wie richtig der Glaube an den Einfluss der Umwelt und wie plastisch und formbar die menschliche Natur ist. Die Gesellschaft schwelgt dagegen noch immer in einer Gen-Euphorie, die - medial verstärkt durch Meldungen über ein angebliches »Schwulen-Gen«, genetisch bedingte Religiosität oder evolutionär fixierte Untreue bei Männern - ihr Futter erhält.
Aber haben wir den Beweis für die Macht der Gene nicht täglich vor Augen? Die Ähnlichkeit zwischen Ahnen und Nachgeborenen, zwischen Eltern und Kindern und erst recht zwischen eineiigen, also genetisch identischen Zwillingen verführt geradezu zum Glauben an die unverrückbare Kraft des Faktors Natur. Wer weiß schon, dass nur schätzungsweise ein Zehntel Prozent unserer Gene für das erkennbare Äußere zuständig sind, der Rest für die »inneren Werte«?
Dass die »Hülle« weitgehend festgelegt ist, können wir in der Natur beobachten: Die Vereinigung von Hahn und Huhn bringt immer Küken, eine Spinne Spinnen hervor. Da sich diese Formstabilität
durch den gesamten Kosmos der Lebewesen zieht, muss sie dem Leben große Vorteile gebracht haben und bringen. Offenbar kann sich in puncto Äußerlichkeit und Körperbau keine Spezies allzu viele Freiheiten erlauben. Was sich bewährt hat, wird bewahrt.
Für den »Inhalt« aber - die unzähligen unsichtbaren Abläufe und Eigenschaften, die zusammen das Verhalten ergeben - gilt das nicht, und zwar zunehmend weniger mit steigendem Organisationsgrad der Organismen: Je variabler die Umwelt, in der sich ein Lebewesen bewegt und ernährt, desto anpassungsfähiger muss es in jedem Augenblick sein, will es überleben. Mit den - unvorhersehbaren - Wahlmöglichkeiten aber nehmen die Entscheidungen zu, die ein Tier treffen kann und muss. Ein anderes Wort dafür ist Freiheit.
Während die Stabilität des Äußeren im Verlauf der Evolution erhalten bleibt, hat die prinzipielle Flexibilität beim Verhalten zugenommen. Sie ist am ausgeprägtesten beim Menschen mit seiner hochkomplexen Hirnrinde. Die erlaubt es uns sogar, Entscheidungen auf Basis verfügbarer Informationen »theoretisch« durchzuspielen, bevor wir sie in die Praxis umsetzen. Ein Großteil der »Prägung« unseres Verhaltens ist nicht angeboren, sondern anerzogen und anderweitig durch die Umwelt geformt. Gene allein machen keine Gewalttäter (ohne Not), sondern äußere Einflüsse, die sich jedoch mehr oder weniger festsetzen können, vom frühkindlichen Trauma bis zum Vorurteil.
Wie formbar Menschen unabhängig von ihren Genen sind, zeigen neuere Zwillingsstudien, die nicht nur die oft verblüffenden Übereinstimmungen zwischen Eineiigen untersuchen, sondern auch ihre Unterschiede. Steckte ihr Schicksal tatsächlich allein im Erbgut, müssten beide drogenabhängig, schizophren oder lesbisch werden - oder keiner von beiden. Oft trifft es den einen, den anderen aber nicht. Selbst bei Forschungen an dem sehr einfach gebauten, nur aus 959 Zellen bestehenden Fadenwurm C. ELEGANS zeigt sich: Zwei dieser Tiere mit exakt gleichem Erbgut können sich sehr unterschiedlich »verhalten«, wenn sie nur in unterschiedlichen Medien aufgewachsen sind. Dass sich zwei genetisch Identische ähnlicher sind als zwei x-Beliebige, steht außer Frage. Ihr Lebensweg hängt aber entscheidend von der Umwelt ab, bei Menschen vor allem von der kulturellen.
Umwelt und Gene (beziehungsweise Organismen) hängen zusammen
wie Pianist und Klavier. Wer erzeugt die Musik? Wer verantwortet die Qualität? Ein guter Spieler holt aus einem schlechten Flügel mehr heraus als ein schlechter aus einem guten. Wer Erbanlagen den vorherrschenden Einfluss einräumt, redet damit automatisch die Formbarkeit des Menschen durch Erziehung, Ausbildung und Training klein. Ohne Zweifel gibt es unterschiedliche Begabungen, mehr oder weniger Intelligente, Geschickte, und auch nicht jeder hat das Zeug zum Abitur. Aber mit entsprechendem Input von Kleinkindesbeinen an, wie im Bildungsbürgertum üblich, bringt die Mehrheit biologisch genug dafür mit.
Dies alles steckt implizit hinter FitzRoys Experiment, obwohl er vordergründig nur eines im Sinn hat: die Überlegenheit seiner Rasse zu beweisen. Unterkünfte werden gebaut, Felder angelegt und eingesät, alles für die Einrichtung einer dauerhaften Mission vorbereitet. Einheimische laufen zusammen,
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