Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
über andere vorzieht, stelle ich mir Darwin vor. In seiner Freiheitsliebe zum Segen seiner Arbeit gleicht er Einstein. Leute wie die beiden wissen um die Fesseln der Verantwortung, die jeder Führer
trägt. Zu ihren einzigen Untergebenen - Sekretärinnen, Assistenten oder Hausangestellten - pflegen sie in der Regel Beziehungen, die eher von Freundschaft als von Herrschaft geprägt sind. Darwin als Chef eines Instituts? Unvorstellbar. Aber als Angestellter erst recht.
Als lebenslanges Einmannunternehmen braucht er jedoch Ersatz für das Team und sucht den Gemeinschaftsgeist in der Familie. Ohne sich je nach einer Alternative umgesehen zu haben, bittet er Cousine Emma am 11. November 1838 um ihre Hand. Er hat nicht erwartet, dass sie sofort akzeptiert. Für sie ist es die Chance ihres Lebens. Im Tagebuch feiert er den Tag der Tage! Kurz darauf bereitet er sie in einem Brief auf ihre Zukunft vor.
Während der fünf Jahre meiner Reise, … die … der Beginn meines wirklichen Lebens genannt werden können, stammte meine gesamte Freude aus dem, was mir durch den Kopf gegangen ist … - Verzeih das Maß an Egoismus. - Ich lege es in Deine Hand, da ich glaube, dass Du mich menschlicher machen und bald lehren wirst, dass es größeres Glück gibt als Theorien zu errichten und in Stille und Einmaligkeit Fakten anzuhäufen. Du meine liebste Emma, ich bete ernsthaft, dass Du niemals die große, und ich will hinzufügen, sehr gute Tat bereust, die Du am Dienstag begehen wirst: mein eigenes zukünftiges Weib, Gott segne dich. Besser hätte er die mehr als vierzig Jahre Ehe nicht vorhersagen können. Ruhig in seinem Arbeitszimmer zu sitzen, während in der Küche die Töpfe klappern und draußen die Kinder spielen.
»Du musst nicht denken, ich erwartete einen Ferien-Ehemann, der sich mir immer von der angenehmen Seite zeigt«, beruhigt Emma ihren Zukünftigen. Den wird sie auch nicht bekommen. Etwa mit der Eheschließung setzen Darwins lebenslange Leiden ein, stundenlanges Erbrechen, Magen- und Darmkrämpfe, Durchfall und unerträgliche Blähungen. Emma darf die Rolle der Krankenschwester übernehmen und ihn ansonsten möglichst in Ruhe lassen. »Werde also nicht mehr krank, mein lieber Charley«, ruft sie ihm vor der Hochzeit zu, »bis ich bei dir sein und dich pflegen kann.« An seinem intellektuellen Leben wird sie so gut wie keinen Anteil haben. Im spirituellen aber tut sich gleich zu Beginn ein tiefer Graben auf.
Mit jedem Schritt zur Evolutionstheorie wachsen Darwins Zweifel an der Schöpfung. Da er sich nicht sicher ist, wie er damit gegenüber der strenggläubigen Emma umgehen soll, bittet er seinen Vater um
Rat. Der empfiehlt ihm dringend, seine religiösen Gefühle zu verbergen. Doch Darwin will seine Ehe nicht mit einem Geheimnis von solcher Tragweite belasten und vertraut sich Emma an. Die ist, wie erwartet, entsetzt, rückt aber von ihrer Zusage nicht mehr ab. Sie äußert die »Furcht, dass unsere Ansichten über das wichtigste Thema weit voneinander abweichen« und bittet ihn, »die Abschiedsworte unseres Heilands an seine Jünger zu lesen, die am Ende des 13. Kapitels von Johannes beginnen«. Damit kann er leben.
Am 29. Januar 1839 werden die beiden von ihrem gemeinsamen Vetter John Allen Wedgwood getraut. Elf Monate später wird der erste Sohn geboren, den sie William Erasmus nennen. Insgesamt wird Emma zehn Kinder bekommen. In Adel und Oberschicht normal. Selbst Königin Victoria bringt neun Kinder auf die Welt, Kaiserin Maria-Theresia in Österreich hatte sechzehn.
Vaterschaft und Entwicklung der eigenen Kinder werden Teil von Darwins wissenschaftlichem Programm. Jeden Schritt dokumentiert er sorgfältig, das erste Lächeln, Gähnen, Deuten, vor allem »Gemütsbewegungen« wie Angst, Freude, Schmerz, und vergleicht sie mit den Affen im Zoo. Wenn er auch nichts von einem Alpha hat, der Forscher steckt ihm in Fleisch und Blut. Ständig auf der Suche nach Erkenntnissen und Zusammenhängen, stets die Augen offen für weitere Bausteine zu seinem Gebäude.
Nach Ankunft der Bahia Azul in Punta Arenas steige ich um auf die nächste Fähre über die Magellanstraße - ein Abstecher nach Porvenir, der einzig nennenswerten Ansiedlung auf dem chilenischen Teil der Insel Tierra del Fuego. Hinter dem Ort, eine halbe Stunde auf einer halsbrecherischen Schotterpiste entfernt, wühlt sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert allein mit Schippe, Steingabel und Schubkarre Jorge Gesell durch die Landschaft. Jeden Tag
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