Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
gräbt sich der Siebenundvierzigjährige, dessen Großvater aus Deutschland stammt, ein Stück weiter vorwärts. Unglaublich, wie viel Dreck ein Mensch in seinem Leben bewegen kann, wenn sein Land Gold enthält.
Darwin trifft in Chile immer wieder auf solche Mineros, die ihre Claims abgesteckt haben wie ein Stück Leben, das sie abarbeiten müssen. Damals versteht nahezu jeder Arbeiter … etwas vom Vorkommen von Erzen. … Auch streifen die Bergleute häufig sonntags mit dem Brecheisen durch
die Berge. »Wie gehst du vor?« - »Wenn ich mit einem Bereich fertig bin, fange ich mit dem nächsten an.« - »Nie genug vom Einerlei?« - »Ich sehe jeden Tag ein neues Stück Erde.« - »Kannst du dir etwas anderes vorstellen, als immer nur zu graben?« - »Irgendwas muss der Mensch doch suchen.«
Besser kann kein Trendforscher das Hamsterrad des Lebens beschreiben. Wir sind alle ständig hinter etwas her. Neue Kontinente, besseres Leben, uns selber. Jeder hat seinen Berg, den er einmal umschaufeln muss, bevor er gehen darf. Der Goldsucher weiß wenigstens, wonach er sucht. Das Metall fällt ihm aber nicht als faustgroße Nuggets in die schwieligen Hände. Er muss den Dreck zerkleinern, trennen, sieben und waschen, um an die sandkornkleinen Krümel zu gelangen. Wenn er sich ranhält, schafft er fünfzig bis hundert Gramm reines Gold im Monat. Das reicht ihm zum Leben. Reich werden kann er davon nicht. »Plata«, sagt er, Geld. »Die Leute haben nichts anderes im Kopf.«
Beim letzten Reinigungsgang setzt er hochgiftiges, reines Quecksilber ein, das er in offenen Flaschen aufbewahrt. Ein paar Zähne sind ihm schon ausgefallen. »Ich werde sowieso nicht alt«, sagt er ohne einen Funken des Bedauerns. In seiner Bretterbude ist es mollig warm. Im Kessel auf dem Ofen kocht Wasser. Der Minero löffelt Pulverkaffee in zwei Becher und gießt sie voll. »Bevor das Gold zu Ende ist, bin ich am Ende.« Er schimpft auf die Welt und lacht wie ein glücklicher Mensch.
Für ein paar Dollar kaufe ich ihm, fein ausgewogen zum Tagespreis, ein Bröckchen seines Schatzes ab. Hat jemals einer die Leben gezählt, die dieses eine Element gefordert hat? Ich halte das Stück in der Hosentasche gefangen, bis es meine Körperwärme angenommen hat. Mitten in der Magellanstraße, auf meiner Rückfahrt von Porvenir nach Punta Arenas, werfe ich es über Bord und lasse es in den irdischen Kreislauf zurückkehren. Fast wäre ich um des Goldes willen meiner goldenen Regel untreu geworden: mit nichts kommen, mit nichts gehen.
Punta Arenas liegt fast genau auf der Scheidelinie zwischen feuerländischer und patagonischer Landschaft, die abrupt das düstere und stumpfe Gepräge der immergrünen Wälder von der baumlosen Einöde
trennt. Zwei Stunden Busfahrt Richtung Nordwesten bringen mich nach Puerto Natales. Die Hafenstadt an der »Bucht der letzten Hoffnung« versteht sich als chilenische Antwort auf das mondäne El Calafate jenseits der Grenze. Dort kommen die Hartschalenkoffer an, hier eher die Rucksäcke.
Man trifft sich im Nationalpark Torres del Paine, wo Guanako und Stinktier einander gute Nacht sagen. Gletscherseen in milchigem Türkis, schneebedeckte Berge für Postkartenfotos und dieses unsagbare Loch am Fuße eines Felsens: die Höhle des MYLODON DARWINII, jenes Riesenfaultiers, dessen Knochen Darwin in der argentinischen Pampa erstmals gefunden hat. Hier hat der deutschstämmige Pionier Hermann Eberhard 1895 ein komplettes Skelett entdeckt und damit Darwin beeindruckend bestätigt.
Selten habe ich etwas Gewaltigeres gesehen. Mehr Halle als Höhle, ein riesiger Schlund unter mächtigem Dach, wie ein Himmel aus blankem Fels, der sich als flache Kuppel über eine Arena spannt. Menschen schrumpfen zu Punkten. An manchen Stellen tropft es. Vor zwölftausend Jahren sah es hier nicht viel anders aus. Wieder so ein Ort, wo sich die Fantasie ihre prähistorischen Kulissen holen darf. Am Eingang steht eine maßstabsgetreue Nachbildung des Faultiers, ein friedlicher Gigant, der sich von Pflanzen und Kleintieren ernährte. Statt auf Bäume zu klettern wie seine heutigen Verwandten, hat es sie mit seinen schweren Pranken einfach gefällt.
Die nächste Etappe über die Wasserstraßen beginnt in Puerto Natales. Die kleine Hafenstadt am Ende eines Labyrinths von Fjorden und Meeresarmen gibt es nur, weil sie Verbindung zum Ozean hat. Hier wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Millionen von Rindern geschlachtet und zu Exportfleisch
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