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Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Titel: Darwin und die Götter der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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sich vorzustellen, was Vorstellungskraft ist.
    Man trifft sie nie in Gruppen von weniger als drei an, zumindest nicht für lange. Einzeln oder zu zweit entwickeln sie schnell persönliche Merkmale, die sie anders machen, und das ist fatal für sie. Wenn ein Revisor eine Meinung hat, die sich von der seiner Kollegen unterscheidet, so bedeutet das das Ende für ihn. Aber während individuelle Revisoren keine eigene Meinung haben können (weil sie dadurch Individualität bekämen), sind die Revisoren als Ganzes sehr wohl dazu imstande. Mit grimmiger Gewissheit vertreten sie die Ansicht, dass das Multiversum viel besser dran wäre, wenn es kein Leben in ihm gäbe. Das Leben verursacht Probleme, neigt zu Unordnung, verhält sich unberechenbar und kehrt die Entropie um.
    Das Leben, so glauben die Revisoren, ist ein unerwünschtes Nebenprodukt. Ohne Leben wäre das Multiversum zuverlässiger. Aber leider gibt es Regeln . Der Gravitation ist es nicht gestattet, sich millionenfach zu verstärken und alle lokalen Lebensformen am Grundgestein zu zerquetschen, so wünschenswert das auch erscheinen mag. Über Leben herzufallen, das einfach nur ging, flog, schwamm oder kroch, hätte die Aufmerksamkeit höherer Autorität geweckt, und das fürchten die Revisoren.
    Sie sind schwach, nicht sehr clever und immer voller Sorge. Aber sie können spitzfindig sein. Und sie haben festgestellt: Das Wundervolle am intelligenten Leben ist die Tatsache, dass es mit vorsichtiger Nachhilfe dazu gebracht werden kann, sich selbst zu vernichten.

SECHZEHN
    Offensichtliche Bestimmung*
[* Für Amerikaner bedeutet ›Manifest Destiny‹ die Überzeugung ihrer Vorväter, sie – die weißen Einwanderer und nicht irgendwelche Indianer – seien von Gott dazu auserwählt, den Kontinent zu besiedeln. – Anm. d. Übers. ]
    Die Zauberer finden gerade heraus, dass es nicht so einfach ist, die Geschichte zu verändern, selbst wenn man eine Zeitmaschine hat. Die Revisoren tun nichts dazu, doch die Geschichte hat ihren eigenen metaphorischen Revisor, oft ›historische Trägheit‹ genannt. Trägheit ist das sich bewegenden Objekten innewohnende Bestreben, sich auf demselben Wege weiterzubewegen, selbst wenn man sie davon abzubringen versucht; es ist eine Folge der Newtonschen Bewegungsgesetze. Historische Trägheit hat eine ähnliche Wirkung, aber eine andere Ursache: Ein einziges historisches Ereignis zu verändern, so bedeutsam es auch erscheinen mag, hat vielleicht keine maßgeblichen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Kontext, der den Gang der Geschichte bestimmt.
    Stellen Sie sich vor, wir hätten eine Zeitmaschine und würden in die Vergangenheit zurückreisen. Nicht sehr weit, nur bis zur Ermordung von Abraham Lincoln. In unserer Geschichte lebte der Präsident bis zum nächsten Morgen, wenn wir also die Kugel des Mörders um ein winziges Stück ablenken, könnte das den entscheidenden Unterschied ausmachen. Wir sorgen also für eine kleine Ablenkung, und er wird getroffen, erholt sich aber, ohne dass ein merklicher Gehirnschaden zurückbleibt. Er sagt ein paar Termine ab, während er sich erholt, und dann fährt er fort … womit?
    Wir wissen überhaupt nichts über jene neue Version der Geschichte.
    Oder doch? Natürlich. Er verwandelt sich nicht, sagen wir, in ein Flusspferd oder einen Ford Model T. Er verschwindet auch nicht. Er ist weiterhin Präsident Lincoln, eingebunden in die ganzen politischen Zweckmäßigkeiten und Unmöglichkeiten, die es in unserer Version der Geschichte gab und in seiner immer noch gibt.
    Das kontrafaktische* [* ›Kontrafaktisch‹ ist ein akzeptableres Wort für das, was lange Zeit ein weit verbreitetes Motiv der Science Fiction war, die Geschichten von ›Alternativwelten‹ oder ›Welten des Wenn‹. (In den Fünfzigerjahren gab es tatsächlich eine Pulp-Zeitschrift namens Worlds of If .) ›Kontrafaktisch‹ sagt man jetzt, wenn derlei Geschichten von richtigen Schriftstellern und Historikern geschrieben werden, um ihnen die Peinlichkeit zu ersparen, im selben Genre wie alle diese sonderbaren SF-Leute zu arbeiten.] Szenario eines lebenden Lincoln wirft viele Fragen auf. Was meinen Sie, wie sehr ähnelt der amerikanische Präsident mit seinem Amt jemandem, der ein Auto steuert und hinfährt, wohin es ihm beliebt? Oder eher jemandem, der in einem Zug sitzt und die Gegend beobachtet, durch die andere ihn fahren?
    Zweifellos irgendwo dazwischen.
    Für gewöhnlich brauchen wir über Kontrafaktisches nicht viel

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