Darwin und die Götter der Scheibenwelt
werden in den meisten Zellen als Reaktion auf eine plötzliche, nicht sehr gravierende Temperaturänderung erzeugt. Eine Anzahl anderer Proteine wird als Reaktion auf andere Schocks erzeugt; das hier interessierende heißt HSP90, weil es zu einer viel längeren Liste von Zellproteinen gehört. HSP90 ist wie die meisten HSPs ein Chaperonin, ein ›Aufsichtsprotein‹: Seine Aufgabe ist es, andere Proteine während ihres Aufbaus zu umklammern, damit die lange Kette von Aminosäuren, wenn sie sich faltet, die ›richtige‹ Form annimmt. HSP90 ist sehr geschickt dabei, die ›richtige‹ Form zu erzeugen – sogar dann, wenn das Gen, welches das ›beaufsichtigte‹ Protein festlegt, eine Menge Mutationen angehäuft hat. Der entstehende Organismus ›bemerkt‹ die Mutationen also nicht; das Protein ist ›normal‹, und der Organismus gleicht in Aussehen und Verhalten seinen Vorfahren.
Wenn es jedoch während der Entwicklung zu einem Wärmeschock oder einer anderen Ausnahmesituation kommt, wird HSP90 von seiner Rolle als Chaperonin abgelenkt, und andere, weniger wirksame Chaperonine lassen zu, dass beim Großteil der Nachkommenschaft die Mutationsunterschiede wirksam werden. Auf die Evolution hat das die Wirkung, dass die Organismen weitgehend unverändert bleiben, bis es zu einem Umgebungsstress kommt, bei dem dann plötzlich, innerhalb einer Generation, zahlreiche zuvor verborgene, aber erbliche Variationen zum Vorschein kommen.
Die meisten Bücher, die die Evolution schildern, scheinen anzunehmen, dass jedes Mal, wenn eine Mutation auftritt, die Umwelt sofort Gelegenheit bekommt, diese Mutation als gut oder schlecht zu bewerten. Aber der eine kleine Trick, HSP90, das bei den meisten Tieren und vielen Bakterien vorkommt, zeigt, dass diese Annahme Unsinn ist. Und Lewotins Entdeckung, dass in Wildpopulationen ein Drittel aller Gene allgemein verbreitete Varianten aufweist und dass alle Organismen eine Menge davon enthalten, macht deutlich, dass alte Mutationen ständig in verschiedenen modernen Kombinationen erprobt werden, während die potenziellen Auswirkungen neuerer Mutationen von HSP90 und seinesgleichen überdeckt werden.
Der Trick, den Säugetiere anwenden, ist viel komplexer und weitreichender. Sie haben ihre Gene reorganisiert und sich von einer Menge genetischer Komplikationen befreit, von denen ihre amphibischen Vorfahren abhingen, indem sich die Säugetiere eine neue und besser gesteuerte Entwicklungsstrategie zulegten.
Die meisten Frösche und Fische, deren Eier für gewöhnlich während jeder Embryoentwicklung großen Temperaturunterschieden und -schwankungen ausgesetzt sind, sorgen dafür, dass die Larven und später die erwachsenen Tiere die gleichen sind. Denken Sie an Froschlaich in einem zugefrorenen englischen Teich, der sich im Lauf des Tages auf 35 °C erwärmt, während empfindliche frühe Entwicklungsstadien durchlaufen werden; später müssen die ausschlüpfenden kleinen Kaulquappen solche Temperaturunterschiede aushalten. Und denken Sie dann an die Frösche, zu denen so wenige von den Kaulquappen werden.
Die meisten chemischen Reaktionen einschließlich vieler biochemischer laufen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab, wenn sich die Temperatur unterscheidet. Einen Frosch bekommt man nur, wenn die verschiedenen Entwicklungsprozesse gut zusammenpassen, und die zeitliche Abstimmung ist von entscheidender Bedeutung. Wie also funktioniert die Entwicklung eines Froschs überhaupt, wenn sich die Umwelt wiederholt derart rasch verändert?
Die Antwort lautet, dass der Frosch viele verschiedene Entwicklungspläne für viele unterschiedliche Umweltszenarien ›enthält‹. Es gibt viele verschiedene Versionen von jedem Enzym und den anderen Proteinen, die zur Entwicklung des Froschs notwendig sind. Sie alle werden in das Ei eingespeist, während es sich im Eierstock des Mutterfroschs befindet. Es gibt vielleicht ganze zehn Versionen von jedem, passend zu den verschiedenen Temperaturen (schnelle Enzyme für niedrige Temperaturen, gemächliche für höhere, damit die Entwicklung gleich lange dauert* [* Für ein paar Arten ist das außerordentlich wichtig. Die Eier von Zebrafischen müssen in der Wildnis nach knapp 72 Stunden ausschlüpfen, denn sie werden kurz vor Morgengrauen gelegt und müssen sich vor dem dritten Morgengrauen verstecken, da Raubfische sie sehen könnten.]), und sie haben ›Etiketten‹ an den Paketen, aus denen sie bestehen, sodass der Embryo auswählen kann, welche davon
Weitere Kostenlose Bücher