Darwin und die Götter der Scheibenwelt
er entsprechend der Temperatur verwendet. Tiere, deren Entwicklung auf diese Weise abgefedert werden muss, verwenden einen Großteil ihres genetischen Programms darauf, um zusätzlich zur Temperatur Entwicklungspläne für viele weitere Variablen aufzustellen.
Die Säugetiere haben dieses ganze Herumwuseln schlau vermieden, indem ihre Weibchen thermostatisch geregelt – ›warmblütig‹ – wurden. Dabei zählt nicht die Wärme des Bluts, sondern das System, welches das Blut bei konstanter Temperatur hält. Die wunderbar geregelte Gebärmutter hält auch alle anderen Arten von Variablen von den Embryos fern, von Giften bis zu Raubtieren. Es ›kostet‹ wahrscheinlich auch viel weniger an DNS, um diese Strategie zu programmieren.
Dieser von den Säugetieren entwickelte Trick enthält eine wichtige Botschaft. Die in Lehrbüchern und komplizierten Forschungshandbüchern so oft gestellte Frage, wie viel Information in der DNS-Blaupause von Generation zu Generation weitergereicht wird, geht am Wesen der Sache vorbei. Wie die Gene und Proteine verwendet werden, ist weitaus wichtiger und weitaus interessanter als die Frage, wie viele Gene oder Proteine in einem bestimmten Lebewesen vorkommen. Lungenfische und manche Salamander, sogar manche Amöben haben über fünfzigmal so viel DNS wie wir Säugetiere. Was sagt das darüber, wie komplex jene Wesen im Vergleich zu uns sind?
Absolut nichts.
Tricks wie das HSR90 und Strategien wie Warmblütigkeit und der Ablauf der Entwicklung im Körper der Mutter bedeuten, dass die Erbsenzählerei der DNS-›Information‹ nichts zur Sache tut. Entscheidend ist die Bedeutung der DNS, nicht ihre Menge. Und Bedeutung hängt ebenso vom Kontext wie vom Inhalt ab: Man kann die Temperatur einer Gebärmutter nicht regulieren, wenn der Kontext (das heißt die Mutter) keine Gebärmutter zur Verfügung stellt.
Die einfältige auf ›Mutationen‹ ausgerichtete Sichtweise im Verein mit modischen Interpretationen der DNS in Begriffen der ›Informationstheorie‹ geht oft mit biologischer Ignoranz auf anderen Gebieten einher. Ein Beispiel ist die Strahlenbiologie und simple Ökologie, wie sie ›Naturschutz-Aktivisten‹ sich vorstellen. Manche dieser Freiwilligen haben Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe in der seinerzeit von der radioaktiven Wolke überstrichenen Richtung, wo die Strahlung noch immer über dem Normalwert lag, fünfbeinige Frösche und andere ›Monster‹ gefunden. Sie behaupten, es handle sich bei diesen Monstern um Mutanten infolge der Strahlung. Andere Forscher haben jedoch auf der anderen, vom Wind nicht berührten Seite ebenso viele der vermeintlichen Mutanten gefunden.
Wie sich zeigte, hatte die beste Erklärung nichts mit Mutantenfröschen zu tun. Es war die Abwesenheit ihrer üblichen natürlichen Feinde – Eulen, Habichte und Schlangen –, weil so viele Menschen in der Gegend zugange sind. Kaulquappen von Rana palustris aus Tschernobyl brachten nicht mehr von diesen pathologischen Abweichungen hervor als anderer Froschlaich aus Dutzende von Kilometern entfernten Teichen, die der Strahlung nicht ausgesetzt waren, wenn in beiden Fällen ein hoher Prozentsatz überleben durfte. Bei britischen Fröschen der Art Rana temporaria ist es für gewöhnlich sehr schwer, zehn Prozent normale erwachsene Tiere zu erhalten oder auch nur solche, die im Laboratorium lebensfähig sind, doch sie bringen keine zusätzlichen Gliedmaßen wie palustris hervor. Normalerweise führen natürlich die gut 10 000 Eier, die ein weiblicher Frosch hervorbringt, nur zu einigen wenigen stark selektierten ›normalen‹ Überlebenden und im Durchschnitt nur zu zweien, die sich ihrerseits fortpflanzen. Aber Naturschützer denken nicht gern an diese Fortpflanzungsarithmetik mit all den toten Fröschen.
Ein weiteres Thema, abermals aus den Untersuchungen zu Thalidomid, zeigt, wie das Gerede von Lamarckismus oder von ›Mutationen‹ an der Sache vorbeigeht.
Manche von den durch Thalidomid geschädigten Kindern haben einander geheiratet, und etliche von diesen Ehen haben zu phokomelischen Kindern geführt. Aus der volkstümlichen Sichtweise folgt daraus offensichtlich, dass die DNS der ersten Generation verändert worden sein muss, sodass sie in der nächsten Generation dieselben Auswirkungen hatte. Auf den ersten Blick sieht das tatsächlich nach Lamarckismus aus: nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. Es scheint sogar ein klassisches Beispiel für solch eine Vererbung zu sein, ebenso
Weitere Kostenlose Bücher