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Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Titel: Darwin und die Götter der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett , Ian Stewart , Jack Cohen , Erik Simon
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ungefähr zehn Gene Varianten (›Allele‹ genannt) haben könnten, deren Anteil in der Population zu- oder abnehmen konnte. Vielleicht könnten sich auch zwanzig Gene auf diese Art verändern, wenn sie sich in puncto ›Tüchtigkeit‹ nicht sonderlich von den regulären Allelen unterschieden. Dieses Bild setzte voraus, dass fast alle Organismen einer bestimmten Art so ziemlich dasselbe genetische Muster haben, ausgenommen einige wenige mit den neu hinzugekommenen guten Allelen, die gewinnen würden, oder mit den schlechten Allelen, die verschwänden.* [* Sie machten Ausnahmen für sichtlich ›unbedeutende‹, aber sehr verschiedenartige Gruppen von Allelen wie die Blutgruppen, aber in diesen Fällen schien es nicht weiter wichtig zu sein, welche davon man hatte.] Diese Ausnahmen waren Mutanten, wie sie in vielen SF-Filmen auf ebenso sensationelle wie dumme Weise dargestellt wurden.
    In den frühen Sechzigerjahren benutzte die Gruppe um Richard Lewotin jedoch eine neue Methode, um die Genetik wilder (oder eigentlich aller) Organismen zu erforschen. Sie untersuchten, wie viele Versionen von allgemein verbreiteten Proteinen sie im Blut oder in Zellextrakten finden konnten. Wenn es nur eine Version gab, dann hatte der Organismus von beiden Eltern dieselben Allele erhalten; der Fachbegriff dafür ist ›homozygot‹. Gab es zwei Versionen, dann hatte er von jedem Elter verschiedene Allele erhalten und war ›heterozygot‹.
    Was sie feststellten, war mit dem Bild von Fisher und Haldane völlig unvereinbar.
    Sie stellten fest – und das ist seither in Tausenden von Wildpopulationen bestätigt worden –, dass bei den meisten Organismen ungefähr zehn Prozent der Gene hererozygot sind. Dank dem Human Genome Project (dem Projekt zur Ermittlung des menschlichen Genoms) wissen wir jetzt, dass Menschen ungefähr 34 000 Gene besitzen. Also sind bei jedem einzelnen Menschen etwa 3400 heterozygot – und nicht rund zehn, wie von Haldane und Fisher vorhergesagt.
    Mehr noch: Wenn man viele verschiedene Organismen zusammennimmt, erweist sich, dass ungefähr ein Drittel aller Gene verschiedene Allele hat. Manche sind selten, doch viele kommen in mehr als einem Prozent der Population vor.
    Es ist nicht möglich, dieses reale Bild der genetischen Struktur von Populationen mit der klassischen Sichtweise der Populationsgenetik zu vereinbaren. Nahezu die ganze zu einem bestimmten Zeitpunkt ablaufende natürliche Auslese muss eine Auswahl unter uralten Mutationen treffen. Es ist nicht so, dass eine neue Mutation auftritt und das Ergebnis unverzüglich der Auslese unterworfen wird; vielmehr ist die Mutation im typischen Fall schon seit Jahrmillionen vorhanden, bis sie schließlich eine hinreichend wichtige Rolle spielt, dass die natürliche Auslese sie wahrnimmt und darauf reagiert.
    Im Nachhinein ist es jetzt offensichtlich, dass alle gegenwärtig vorhandenen Hunderassen in den ursprünglich domestizierten Wölfen schon ›verfügbar‹ gewesen sein müssen – in dem Sinn, dass die notwendigen Allele bereits irgendwo in der Population vorkamen. Es war einfach nicht genug Zeit , dass sich die notwendigen Mutationen ausschließlich in den modernen eigentlichen Hunden hätten ansammeln können. Auch Darwin wusste von der Anzahl verborgener und sichtbarer Variationen bei Tauben. Seine Nachfolger jedoch, fieberhaft auf der Jagd nach der molekularen Grundlage des Lebens, vergaßen Wölfe und Tauben. Sie vergaßen weitgehend auch die Zellen. Die DNS war schon kompliziert genug: Zellbiologie war nicht möglich, und was das Verständnis von Organismen anging …
    Lewotins Entdeckung war ein bedeutender Wendepunkt für unser Verständnis von Vererbung und Evolution. Sie war mindestens ebenso radikal wie die viel bekanntere Revolution, die die Newtonsche Physik durch die Einsteinsche ersetzte, und möglicherweise von größerer Bedeutung. Wir werden sehen, dass in den letzten ein, zwei Jahren unsere Vorstellungen darüber abermals und sogar noch radikaler revidiert worden sind. Das ganze Dogma von der DNS, der Boten-RNS und den Proteinen ist an der Realität neu ausgerichtet worden, und die internen ›Revisoren‹ der Wissenschaft haben es als ebenso altertümlich eingestuft wie die Populationsgenetik Fishers.
    Es wird gemeinhin angenommen – nicht nur von den durchschnittlichen Produzenten halbstündiger populärwissenschaftlicher Fernsehsendungen, sondern auch von den meisten Verfassern populärer Sachbücher –, dass nun, da wir um die

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