Darwin und die Götter der Scheibenwelt
Viele Physiker glauben das noch immer: dass das Leben unnatürlich sei und, indem es Negentropie verbraucht, in seiner Umgebung egoistisch die Entropie stärker anwachsen lasse, als das sonst der Fall wäre.
Diese Neigung zu leugnen, was einem unmittelbar vor Augen steht, gehört zum Menschsein. Die Scheibenwelt benutzt sie zu humoristischen wie auch zu ernsten Zwecken. Indem er die Scheibenwelt flach anlegt, macht sich Terry über die Flacherde-Anhänger lustig; vor allem bezieht er seine Leser in eine Gemeinschaft nach dem Motto ein: ›Wir alle wissen doch, dass die Erde rund ist, nicht wahr?‹ Dass die Omnianer in Einfach göttlich glauben, die Scheibe sei kugelförmig, fügt dem Ganzen eine weitere Wendung hinzu.
Wir möchten das, was rationale Menschen üblicherweise glauben, in einen allgemein-menschlichen Zusammenhang bringen, also wollen wir schauen, was alle Menschen glauben. In diesen Tagen der fundamentalistischen Terroristen tun wir gut daran zu verstehen, warum ein paar Menschen Glaubensvorstellungen anhängen, die sich vom Vernünftigen so sehr unterscheiden. Diese nicht hinterfragten Glaubensvorstellungen sind womöglich von größter Bedeutung, weil die unwissenden Menschen, die ihnen anhängen, sie für einen guten Grund halten, uns und unsere Lieben zu töten, obwohl sie niemals Alternativen erwogen haben. Menschen, die die Wahrheit kennen , sei sie von den Vorfahren überkommen, durch persönliche Offenbarung gewonnen oder von der Obrigkeit verordnet, kümmern sich weder um Logik noch darum, ob ihre Grundannahmen zutreffen.
Fast alle Menschen, die jemals gelebt haben, gehören in diese Kategorie.
Es gab und gibt ein paar dünn gesäte Zeiten und Orte – und wir hoffen, dass das 21. Jahrhundert etliche davon beherbergen wird –, wo Zuschauer eher glauben, dass bei einem Disput derjenige Recht hat, der sich seiner Sache nicht ganz sicher ist, als derjenige, der Gewissheit hat. Doch in der Politik von heute wird es als Schwäche betrachtet, wenn man infolge neuer Tatsachen seine Meinung ändert. Als er Vizekanzler der Warwick University war, hat der Biologe Sir Brian Follett einmal bemerkt: »Ich mag es nicht, wenn Wissenschaftler in meinen Ausschüssen sind. Man braucht ihnen nur ein paar neue Daten zu geben, und schon überlegen sie es sich anders!« Er verstand seinen Scherz – die meisten Politiker hätten nicht einmal gemerkt, dass es ein Scherz ist.
Um die Art von Erklärungen und Verständnis zu erörtern, die für die Zukunft von Wert sind, brauchen wir zumindest eine einfache Geographie der Orte, wo Menschen heute ihre Glaubensvorstellungen festmachen. Welche Arten von Weltbildern sind am weitesten verbreitet? Es gehören dazu die des autoritären Theisten, des mehr oder weniger phantasievollen Theisten, des kritischeren Deisten und verschiedener Arten von Atheisten – von Buddhisten und den Anhängern Spinozas bis zu jenen, die wie die meisten Wissenschaftler und Historiker einfach glauben, dass das Zeitalter der Religion hinter uns liegt.
Die meisten Menschen der letzten paar Jahrtausende scheinen autoritäre Theisten gewesen zu sein, und es gibt noch viele davon auf unserer Welt, vielleicht sind sie immer noch die Mehrheit. Bedeutet das, dass wir diesen Ansichten (Plural, denn sie sind alle sehr unterschiedlich: Zeus, Odin, Jahwe …) intellektuell angemessen viel Zeit widmen müssen, oder können wir sie einfach mit den Worten »Ich benötige diese Hypothese nicht« abtun, die Laplace zu Napoleon gesagt haben soll? Daraus, dass Gott den Menschen nach Seinem Bilde schuf, schloss Voltaire, dass man Gottes Wesen von dem der Menschen ableiten könne, und hielt es immerhin für denkbar, dass Gott uns boshafterweise falsch über Belohnung und Strafe unterrichtet habe. Vielleicht werden die Sünder mit dem Himmel belohnt, und die Heiligen bekommen die Hölle zu schmecken. Unsere Ansicht lautet, dass all die verschiedenen gegenwärtigen autoritären Theisten Träger eines überaus erfolgreichen Memplexes sind, eines Bündels von Glaubensvorstellungen, das zu dem Zweck entworfen und über Generationen selektiert worden ist, seine eigene Fortpflanzung zu sichern.
Ein typischer Memplex ist das jüdische Schma: »So seien diese Reden … einschärfe sie deinen Söhnen, rede davon, … wann du dich legst und wann du dich erhebst … schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und in deine Tore!«* [* 5. Mose 6, 6–9, deutsch von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig.] Wie per
Weitere Kostenlose Bücher