Darwin und die Götter der Scheibenwelt
erschaffen sein soll, irrig ist. Ich bin fest überzeugt, dass die Arten nicht unveränderlich sind, sondern dass die zur selben Gattung gehörenden in gerader Linie von einer anderen und in der Regel ausgestorbenen Art abstammen … Und ebenso fest bin ich überzeugt, dass die natürliche Zuchtwahl das wichtigste, wenn auch nicht das einzige Mittel der Abänderung war.
Im Grunde ist Darwins Theorie der natürlichen Auslese, die bald als Evolution* [* Der Begriff kursierte im viktorianischen Zeitalter bereits als Phänomen, nicht aber als spezifischer Mechanismus. Darwin benutzte ihn weder in der Entstehung noch später in Die Abstammung des Menschen . Das letzte Wort in der Entstehung ist allerdings ›evolved‹, ›entwickelt‹.] bekannt wurde, ganz geradlinig. Die meisten Leute glauben sie zu verstehen, doch ihre Einfachheit trügt, und die Feinheiten sind leicht zu unterschätzen. Viele der üblichen Einwände gegen die Evolutionstheorie entspringen allgemeinen Missverständnissen, nicht dem, was die Theorie tatsächlich besagt. Die andauernde wissenschaftliche Debatte über Einzelheiten wird oft als Ablehnung des Ganzen fehlgedeutet; dieser Irrtum beruht auf einer zu einfältigen Vorstellung davon, wie sich Wissenschaft entwickelt und was ›Wissen‹ ist.
Kurz gesagt lautet Darwins Theorie folgendermaßen:
1. Organismen, sogar wenn sie derselben Art angehören, sind verschieden. Manche sind größer als andere oder kräftiger als andere oder schöner als andere.
2. Diese Verschiedenheit ist in gewissem Grad erblich und wird an die Nachkommen weitergegeben.
3. Ungehindertes Wachstum der Populationen würde die Kapazität des Planeten rasch erschöpfen, also wird es von etwas behindert: vom Wettbewerb um begrenzte Ressourcen.
4. Daher werden im Lauf der Zeit die Organismen, die tatsächlich lange genug überleben, um sich fortzupflanzen, auf eine Art und Weise verändert, die ihre Chancen zur Fortpflanzung verbessert – ein Prozess, der natürliche Auslese genannt wird.
5. Fortwährende geringe Änderungen können über einen langen Zeitraum zu großen Unterschieden führen.
6. Der lange Zeitraum ist wirklich lang gewesen – Hunderte von Jahrmillionen, vielleicht mehr. Daher sind jene Unterschiede inzwischen gewaltig.
Obwohl unterschiedliche Arten weitgehend dieselben zu bleiben scheinen – man denke an Löwen, Tiger, Elefanten, Flusspferde oder woran auch immer –, ist es in Wahrheit ziemlich offensichtlich, dass Arten im Allgemeinen nicht für alle Zeit feststehen. Die Veränderungen erfolgen verhältnismäßig langsam, weshalb wir sie nicht bemerken. Doch sie finden statt. Wir haben bereits gesehen, dass bei den Darwinfinken evolutionäre Veränderungen im zeitlichen Maßstab von Jahren zu beobachten sein können und wirklich beobachtet werden, und bei Bakterien kommen sie binnen Tagen vor.
Der offensichtlichste Beweis für die Veränderlichkeit von Arten war zu Darwins wie zu unserer Zeit die Domestikation von Tieren – Schafen, Rindern, Schweinen, Hühnern, Hunden, Katzen …
… und Tauben. Bei Tauben kannte sich Darwin ziemlich gut aus; er gehörte zwei Londoner Taubenzüchtervereinen an. Jeder Taubenfreund weiß, dass man, indem man bestimmte Kombinationen männlicher und weiblicher Tauben für die Zucht auswählt, ›Varietäten‹ von Tauben mit bestimmten Eigenschaften hervorbringen kann. »Die Verschiedenheit der Rassen ist oft ganz erstaunlich«, schreibt Darwin im ersten Kapitel der Entstehung . Die Englische Brieftaube hat eine weite Mundspalte, weite Nasenlöcher, verlängerte Augenlider und einen langen Schnabel. Der kurzstirnige Tümmler hat einen kurzen, gedrungenen Schnabel wie ein Fink. Der gewöhnliche Tümmler fliegt in einem dichten Schwarm hoch empor und hat die merkwürdige Angewohnheit, am Himmel hin und her zu torkeln, daher der englische Name ›tumbler‹. Die ›Runt‹-Taube ist groß, mit langem Schnabel und großen Füßen. Die Berbertaube ist mit der Brieftaube verwandt, hat aber einen sehr kurzen, breiten Schnabel. Die Kropftaube hat einen aufblasbaren Kropf und kann die Brust aufplustern. Die Möwentaube hat einen kurzen Schnabel und einen Streifen gegenläufiger Federn auf der Brust. Die Perückentaube hat so viele gesträubte Federn am Hals, dass sie eine Haube bilden. Dann gibt es noch die Trompeten- und die Lachtaube, die Pfautaube … Das sind keine unterschiedlichen Arten: Sie können gekreuzt werden und lebensfähige ›Hybriden‹
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