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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie nannten.) Anfangs war daran nichts Ungewöhnliches gewesen. Solche Leute kamen und gingen wie eh und je, mieteten ein muffiges altes Zimmer und zogen nach einer Weile weiter. Sie zahlten ihre Rechnungen, keine Fragen, keine Antworten. Sie gehörten zum Leben, wie es die wilden Wollschlangen in den südlichen Hügeln taten.
    Doch in letzter Zeit waren manche von diesen Männern ungewöhnlich lange geblieben, und es waren mehr geworden. Sie saßen in Gruppen im Schaffhausen und tuschelten angeregt über Werweißwas und Karens Neugier war geweckt. Böse, wer sich Böses dabei denkt.
    Als Guilford Law sich also an die Bar setzte und einen Drink bestellte, schob sie ihm das Glas vor die Nase und sagte: »Haben wir in Randall eine Versammlung oder was?«
    Er bedankte sich höflich. Dann sagte er: »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Den Teufel tun Sie.«
    Er sah sie lange an. »Karen, richtig?«
    »Hmm.« Ja, Mr. War-ein-Jahr-lang-jeden-Abend-hier, so heiße ich.
    »Karen, das ist eine heikle Frage.«
    »Mit anderen Worten, es geht mich nichts an. Aber irgendwas tut sich.«
    »So?«
    »Ich hab doch Augen im Kopf. Jede Gleisratte und jeder Holzbock aus den Territorien muss heute Abend hier sein. Irgendwie seht ihr doch alle gleich aus.«
    Wie etwas Verhungertes und Erschöpftes, das nicht sterben kann. Aber das behielt sie für sich.
    Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie, er würde sie ins Vertrauen ziehen. Der Ausdruck, der über sein Gesicht huschte, war von solch makelloser Einsamkeit, dass Karen merkte, wie ihre Unterlippe zu beben begann.
    Was er sagte, war: »Sie sind ein sehr hübsches Mädchen.«
    »Das ist das erste Mal in fünfzehn Jahren, dass jemand ›Mädchen‹ zu mir sagt, Mr. Law.«
    »Es wird ein harter Herbst.«
    »Ach ja?«
    »Möglich, dass Sie mich eine Zeit lang nicht zu Gesicht bekommen. Wissen Sie was? Wenn ich bis zum Frühling wieder zurück bin, dann komme ich Sie besuchen. Ich meine, wenn Ihnen das recht ist.«
    »Soll mir recht sein. Im Frühling also. Das ist noch lange hin.«
    »Und wenn ich nicht zurückkomme…«
    Zurück wovon? Sie wartete.
    Doch er trank sein Glas aus und schüttelte den Kopf.
     

     
    Hübsches Mädchen, hatte er gesagt.
    Von früh bis spät bekam sie ein Dutzend falscher Komplimente gemacht; von Männern, die entweder betrunken oder belanglos waren. Komplimente bedeuteten nichts.
    Doch an das, was Guilford Law gesagt hatte, musste sie den ganzen Abend denken. So simpel, dachte sie. Und traurig und komisch.
    Vielleicht würde er wiederkommen… und vielleicht würde ihr das ganz recht sein.
    Doch heute Abend trank er nur aus und ging alleine nach Haus, wie ein verwundetes Tier. Sie machte ihm Augen. Er blickte in eine andere Richtung.

 
Kapitel Dreiunddreißig
     
     
     
    Um halb fünf verließ Lily das Büro und fuhr mit dem Bus zum National Museum. Der Tag war kalt, klar und frisch. Der Bus war voll von Lohnempfängern, Männern mittleren Alters in Kammgarnanzügen und mit zerdrückten Hüten auf dem Kopf. Niemand von ihnen ahnte, dass ein himmlischer Krieg bevorstand. Was diese Männer nach Lilys Erfahrung im Sinn hatten, war ein Cocktail, dann ein Dinner, dann ein Cocktail nach dem Dinner, Kinder im Bett, das Fernsehen auf einen der zwei nationalen Sender eingestellt und vielleicht noch ein Absacker vor dem Schlafengehen.
    Sie waren zu beneiden.
    Über den Portalen des Museums hingen prunkvolle Banner:
     
    THE TRANSFORMATION OF EUROPE
Understanding a Miracle
     
    »Wunder.« Das Wort sollte wohl die religiösen Lobbys besänftigen. Im Stillen nannte Lily den Kontinent immer noch so, wie ihn die Hearst-Blätter getauft hatten: Darwinia. Die Ironie war verlorengegangen; die meisten Menschen akzeptierten, dass Europa eine eigene fossile Geschichte hatte, was immer das bedeutete, und sie konnte sich sehr wohl den jungen Charles Darwin vorstellen, wie er in der Rheinmarsch Käfer sammelte und sich den Kopf über Darwinia zerbrach. Wobei ihm wahrscheinlich das eigentliche Mysterium des Kontinents entging.
    Aus dem Bus und in die leuchtstoffhellen Gemächer des Museums.
    Die Ausstellung war enorm umfangreich. Lily ignorierte den größten Teil und ging schnurstracks auf die Glasvitrine zu, die sich der Finch-Expedition von 1920 und dem kurzen angloamerikanischen Konflikt widmete. Hier waren Exemplare altmodischer Kompasse, Pflanzenpressen und Theodoliten zu sehen sowie eine primitive Gedenktafel, die man Jahre später im Rheinland unterhalb des Bodensees

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