Darwinia
Europäer ihre eigene, unberührte Wildnis, die sie auf den Kopf stellen und sich gegenseitig streitig machen können. So wie wir, Gott stehe ihnen bei.«
Lager am Bodensee. Diggs an seiner Feuerstelle. Sullivan, Betts & Hemphill an ihren Zelten. Wiese grün mit einer kleinen, um sich greifenden Blattpflanze, die an türkisfarbenen Klee erinnert. Hohe Wolkendecke, frischer, böiger Wind.
PS. Vielleicht sollte ich aufhören, diese Notizen als ›Postscriptum‹ zu bezeichnen & zugeben, dass es sich um Zeilen an Caroline handelt. Caroline, ich hoffe, du bekommst sie bald zu sehen.
Seit dem tragischen Tod von Gillvany verlief die Reise ohne größere Zwischenfalle, aber dieser eine Zwischenfall hängt wie eine düstere Wolke über uns. Besonders Finch ist verdrossen und wortkarg geworden. Ich glaube, er macht sich Vorwürfe. Er schreibt unentwegt in sein Notizbuch & redet kaum.
Wir kampieren im Weideland, das Erasmus beschrieben hat. Habe riesige Herden von wilden Wollschlangen gesehen, die über Land ziehen wie Wolkenschatten an ’ einem sonnigen Tag. Der findige Tom Compton hat sich angepirscht und ein Exemplar erlegt. Heute ist Schlangenfleisch angesagt – fettige Steaks, die wie wildes Geflügel schmecken, endlich mal keine Konserven. Die Boote sind sicher verstaut, ein gutes Stück über dem Wasserpegel, gut versteckt unter Zeltplanen & einem bemoosten Granitsims & nur zu finden, wenn man weiß, wonach man sucht. Doch wer sollte das sein in diesem menschenleeren Land?
Wir warten auf Erasmus und die Packtiere mit unserem Proviant. Tom Compton ist immer noch der Meinung, wir hätten die Tiere umsonst haben können – sie sind (nicht selten buchstäblich) allgegenwärtig – aber Erasmussens Tiere sind an Gepäck und Zaumzeug gewöhnt und haben uns viel Arbeit abgenommen.
Immer vorausgesetzt, Erasmus kommt wie verabredet.
Wir kennen uns inzwischen ganz gut – mit all unseren Marotten & Vorlieben – und ich hatte sogar ein paar lohnende Gespräche mit Tom Compton, der mich seit dem Beinaheverlust der Perspicacity mit mehr Respekt behandelt. In seinen Augen bin ich zwar immer noch der verwöhnte Oststaatler, der sich seine Donuts mit einem Photo-Kasten verdient (wie er es nennt), hatte aber genug Initiative bewiesen, um ihn zu beeindrucken.
Seine Skepsis kommt nicht von ungefähr. Geboren in San Francisco, ein Mischling, der von der Hand in den Mund lebte, nach eigenen Angaben ein Abkömmling von Sklaven, Indianern & gescheiterten Goldsuchern –, brachte er sich selbst das Lesen bei und fand eine Anstellung in der Handelsmarine und landete schließlich in Jeffersonville, einer rauen Siedlung, wo seine Talente gefragt waren und seine Manieren nicht weiter auffielen.
Ich weiß, du würdest ihn grob finden, Caroline, aber er hat einen guten Kern & man kann sich auf ihn verlassen. Ich bin froh, dass er bei uns ist.
Wir warten nun schon eine Woche auf Erasmus und werden, wenn nötig, noch länger warten. Zum Glück habe ich das Argosy, das ich für Finchs Geo-Wälzer bekommen habe. Das Magazin enthält eine Folge von E. R. Burroughs’ ›Lost Kingdom of Darwinia‹, Neues aus dem fiktiven ›ancient hinterland‹ mit seinen Dinosauriern, seinen edlen Wilden und seiner Dynastie aus bösartigen Junkern, die das Sagen haben. Eine Prinzessin muss gerettet werden. Ich weiß, wie sehr du diese Art von ›Literatur‹ verachtest, Caroline, und ich muss zugeben, dass selbst das wilde Darwinia von Burroughs vor der Wirklichkeit verblasst: diese allzu massiven Felsen und die dunklen, kühlen Wälder. Aber das Magazin ist eine wunderbare Ablenkung & die anderen beneiden mich, denn ich leihe es nur ungern aus.
Ich stelle fest, dass ich mich wieder auf die Zivilisation freue – die hohen Gebäude, die Zeitungskioske und das alles.
Erasmus und die Packtiere sind eingetroffen, Finch hat ihm angeboten, den Scheck auf eine Bank in Jeffersonville auszustellen und Erasmus war einverstanden. Er verbrachte den Abend im Lager und brachte, was Gillvanys Tod anging, zwar sein Beileid zum Ausdruck, zeigte sich aber nicht überrascht.
Doch seine Ankunft wurde von einer Entdeckung überschattet. Avery Keck und Tom Compton waren wieder auf Jagd gewesen und Keck hatte zweierlei im Auge gehabt: die geographischen Gegebenheiten und die Methoden des Grenzers. Nicht dass die Jagd auf Wollschlangen viel Geschick erfordere, wie Keck am Lagerfeuer erklärte. Sie hatten einfach ein Tier von der Herde getrennt und Tom Compton hatte
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