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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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das Ergebnis war eine holistische Bibliothek der galaktischen Geschichte und eine Festung gegen die Verflüchtigung der Materie. Die Noosphären tanzten einen orbitalen Reigen um ihr Werk. Wer weiß, vielleicht brüteten ja die Singularitäten hinter ihren heiligen Grenzen schon wieder neue Universen aus. Diese Alternative wurde gründlich erwogen; zwischen diesem Archiv und anderen wurden schwache Signale ausgetauscht, Konzepte für neue Universen, Ideen, die selbst das Bewusstsein verzagen ließen. Vielleicht war es eines Tages…
    Aber das war Spekulation. Vorerst ergötzte sich das Bewusstsein an dem, was es geschaffen hatte.
    Monofilamente aus Higgs-Verzerrung fluteten das Archiv und wickelten die Geschichte folgerichtig auf.
    Bewusstseinsknoten erster und zweiter Ordnung machten sich ein Vergnügen daraus, die Vergangenheit zu erkunden – ein-, zwei-, dreimal, wobei das Archiv immer wieder gelesen wurde. Das Wissen rollte sich ein, lernte sich selbst kennen; Philosophen unter den Noosphären debattierten den Unterschied zwischen Wissen und Gewusstem.
    Unversehens offenbarte sich einige 103 Jahre nach Fertigstellung die Tragödie.
    Das Archiv, so entdeckten die Noosphären, war klammheimlich unterwandert und korrumpiert worden. Quasi-bewusste Entitäten – sich selbst reproduzierend und parasitären Code erzeugend, der sich im Netzwerk der Higgs-Signale zwischen den Galaxien versteckte – sie hatten sich der Strukturprotokolle des Archivs bemächtigt. Information ging verloren, unwiderruflich, von Minute zu Minute.
    Schlimmer noch: Information wurde verfälscht.
     

     
    Das Archiv wurde nach und nach entstellt. Quasi-bewusste virtuelle Entitäten, Relikte eines Krieges, der lange vor dem hiesigen Eklektischen Zeitalter eine ferne Galaxie verwüstet hatte, benutzten das Archiv als Plattform, um ihre Algorithmen vor dem Wärmetod zu retten. Sie empfanden nur Verantwortung für ihresgleichen, wussten aber sehr wohl um die Erbauer und den Zweck des Archivs. Sie hatten das Archiv nicht einfach gekapert, sie benutzten es sozusagen als Geisel.
    Aus statischen Erinnerungen, die als Aufzeichnungen in das Archiv eingebettet waren, entstanden praktisch neue Saat-Bewusstseine: neue Lebewesen, gefangen in einer Epistruktur, die sie nicht wahrnehmen konnten, und manipuliert durch Entitäten, die ihr Begriffsvermögen überstiegen. Diese neuen Lebewesen, gleichwohl Produkte eines verfälschten Archivs, durften weder aufgehalten noch gelöscht werden. Das wäre eine unverzeihliche Sünde gewesen. Rein theoretisch hätte man das Archiv leeren, säubern und neu beschicken können… das aber wäre einem gigantischen Genozid gleichgekommen.
    Außerdem mussten diese Lebewesen gespeichert, erinnert werden. Eine Aufgabe, der sich das Bewusstsein seit jeher verschrieben hatte – um seinem Tod zu entgehen. Diese neue und seltsame Quasi-Geschichte, die sich im Archiv entwickelte, durfte nicht einfach aufgegeben werden.
    Aus Angst vor Ansteckung gingen die Noosphären auf Distanz; das Bewusstsein ging mit sich zu Rate und Tausende von Jahren verstrichen.
    Fest stand, das Archiv musste wiederhergestellt werden. Die Eindringlinge mussten vertrieben werden. Wenn nichts unternommen wurde, gingen die jungen Saat-Bewusstseine irgendwann verloren und mit ihnen das ganze Archiv. Diese Viren würden nicht eher ruhen, bis das erkaltende Universum nur mehr ihren eigenen, rücksichtslosen Code enthielt. Die Säuberung des Archivs würde viel problematischer sein als seine Errichtung, weil sie innerhalb des Archivs beginnen musste. Milliarden von individuellen Bewusstseinsknoten mussten das Archiv betreten, und zwar physisch wie virtuell. Und sie würden auf listenreichen Widerstand stoßen.
    Individuen – Geister praktisch –, deren Identität längst mit den Noosphären verschmolzen war, begaben sich ihrer äonenlangen Verklärung und wurden nahezu wieder sterblich, nur um in das korrumpierte Archiv zu können.
    Unter diesen Milliarden von Bewusstseinsknoten war ein uralter terrestrischer, der einmal Guilford Law geheißen hatte. Dieses Saat-Bewusstsein, kaum komplex genug, um sein uraltes Gedächtnis zu bewahren, stürzte sich mit unzähligen anderen in die fraktale Tiefe des Archivs.
    Der letzte Krieg nahm seinen Anfang.
    Guilford Law wusste, was Krieg war. Immerhin war er im Krieg gefallen.

 
Zweites Buch
     
WINTER, FRÜHLING 1920-21

»Esse est percipii.« [35]
    - BISCHOF BERKELEY

 
Kapitel Fünfzehn
     
     
     
    AUS DEM TAGEBUCH

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